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di Siro Ferrone

Zur europäischen Tradition der Commedia dell’arte

Data di pubblicazione su web 13/12/2010
Tartuffe

Übersetzung von Mechthild Gallwas und Katy Schlegel

Il convitato di pietra

Von Don Giovanni (oder Convitato di pietra) ist eine italienische Version überliefert[1], die von Giacinto Andrea Cicognini im März 1633 in Florenz und im Anschluss in Pisa aufgeführt wurde; es ist wahrscheinlich, dass dieser Text, von dem später zahlreiche Druckfassungen existieren[2], dem florentinischen Schriftsteller durch Vermittlung seines Vaters Iacopo in die Hände fiel, der bekanntlich mit Lope de Vega in Briefkontakt stand. Obgleich überliefert ist, dass spanische Comici bereits im Oktober 1625 Il Convitato di pietra im Saal von San Bartolomeo in Neapel aufführten, ist die Bedeutung der florentinischen Überlieferung nicht von der Hand zu weisen.[3] Sie ist auf der rein textlichen Ebene weniger von Bedeutung als auf der spielerischen, zum einen, da der Träger dieser Tradition vor allem empirisch ist, zum anderen, weil sie eine Art Vulgata darstellte, eine populäre Bearbeitung, die letztlich dazu bestimmt war, im Gebrauch und in der Praxis der Berufsschauspieler verändert zu werden. Ein weiterer unveröffentlichter Canovaccio, Il convitato di pietra opera cavata dal vero, welcher sich zwischen den Florentinischen Blättern befunden hatte und erst jüngst von Annamaria Testaverde entdeckt wurde[4], bestätigt die Nähe, wenn nicht gar die Kontinuitätsbeziehung zwischen den beiden florentinischen Texten und der Version von Molière: Es genügt, an die mehrfach wiederholten Schlussworte von Sganarelle zu denken (»Ah! mes gages! mes gages! […] Mes gages! mes gages! mes gages! / Ach, mein Lohn! Mein Lohn! […] Mein Lohn! Mein Lohn! Mein Lohn! «), die sich – außer bei Molière – nur in jenen beiden toskanischen Fassungen finden, um dann – nicht zufällig – in der Arlecchino Dominique zukommenden Wiederbearbeitung aufzutauchen.[5]

Testaverde hat die Aufführung des unveröffentlichten Canovaccio auf die ersten Tage des Jahres 1657 (exakt auf den 8. Januar) datiert:

 

»ne la via del Cocomero, ne la stanza dell’Accademia dei Sorgenti. Recitarono i commedianti e rappresentarono Il convitato di pietra. Fu arricchita con belle musiche, intermedi, machine e con balletti. Vi fu il Granduca, la Serenissima e tutti i principi e si fece invito di Dame

in der Via del Cocomero, im Saal der Accademia dei Sorgenti. Es spielten die Comödianten und sie führten Il convitato di pietra auf. Es war eingerichtet mit schöner Musik, Intermedien, Maschinen und Balletten. Es waren da der Großherzog, Ihre Hoheit, und alle Fürsten und man lud Damen ein«.[6]

 

Nach Testaverde wurde diese Aufführung wahrscheinlich umgesetzt von Marco Napolioni, der vielleicht der Übersetzer aus dem Spanischen war und überdies der Interpret der Partie des Don Giovanni, sowie von Giovan Battista Fiorillo, dem Bruder von Scaramouche in der Partie des Cola.[7] Es muss daran erinnert werden, dass der erste Druck des Textes von Cicognini (ohne Angabe des Verlegers und des Erscheinungsjahres) wahrscheinlich der venezianische Druck ist – mit der Widmung von Francesco Lupardi, und zu datieren zwischen 1663 und 1666: Auch dieser ist demnach älter als die Version von Molière.[8] Was das französische Debüt betrifft, dürfte Le Festin de Pierre der Comédiens Italiens, dem Notar Thomas-Simon Gueullette zufolge, dem späteren Herausgeber der Canovacci von Biancolelli, »avoir esté joué par la trouppe de Locatelli, en l’Année 1658, après le Rozaure et il y eut un succès prodigieux [von der Truppe von Locatelli im Jahr 1658 nach der Rosaura gespielt worden sein, und es hatte erstaunlichen Erfolg] «.[9] In seinen Pariser Vers-Chroniken spricht Jean Loret (23. März 1658) von der Aufführung Rosaura imperatrice di Costantinopoli und schreibt die Übersetzung Domenico Locatelli und die szenische Ausstattung Giacomo Torelli zu.[10] In seiner Chronik ist die Lobrede auf die Maschinen von Torelli, auf die Schauspieler und besonders auf die Szene zu lesen, in der sich Scaramouche vor einer mit jederlei Speisen gefüllten Tafel befindet, es ihm aber aufgrund der Missgeschicke, die um ihn herum passieren, nicht gelingt zu essen:

 

»Entre quantité d’accidents / Qui font rire, malgré les dents, / Et qui raviroient une souche, / C’est la Table de Scaramouche, / Contenant fruit, viande et pain / Et, pourtant, il y meurt de faim / Par des disgrâces qui surviennent / Et qui de manger le retiennent

 

Aufgrund etlicher Zufälle / Die so zum Lachen sind, dass man Zahnschmerzen bekommt, / Und einen Holzklotz erschüttern könnten, / Ist die Tafel von Scaramouche / Gefüllt mit Früchten, Fleisch und Brot / Er stirbt jedoch vor Hunger / Durch die Unglücke, die passieren / Und ihn vom Essen abbringen«.

 

Es ist nicht ausgeschlossen, dass der Chronist hier einer Verwechslung erliegt zwischen der Rosaura und der Szene, in der der Diener von Don Giovanni im Convitato di pietra das Festessen verzehrt. Auf jeden Fall waren die von Scaramouche auf der Bühne dargebotenen Esser-Qualitäten seit seinen Anfängen bekannt, wie sein Biograph, der Schauspieler Angelo Costantini, erinnert:

 

»Chiedendogli ancora in quale commedia voleva recitare, scelse il Festino di pietra, ch’egli preferiva a tutte per via del banchetto che vi si recita. […] Scaramuccia riuscì perfettamente in tutta la recita, e inoltre fece con tanto scrupolo il suo dovere al banchetto, che rischiò di crepare in mezzo agli applausi. Il pubblico fu così incantato da quella rappresentazione, che domandò con urgenza una replica. Scaramuccia vi acconsentì volentierissimo; e stavolta in luogo delle ova sode di cui si era riempito la sera precedente, si mangiò un grosso tacchino, due pernici e un pasticcio di piccione.

 

Fragte man ihn also, in welcher Comödie er spielen wollte, wählte er den Festino di pietra, den er wegen des Festmahls, das man dort aufführte, unter allen vorzog. […] Scaramuccia stach in der gesamten Aufführung hervor und erfüllte darüber hinaus seine Pflicht beim Bankett sehr gewissenhaft, sodass dieses drohte, inmitten des Applauses unterzugehen. Das Publikum war so bezaubert von dieser Vorführung, dass es mit Nachdruck nach einer Wiederholung verlangte. Scaramuccia willigte nur zu gerne ein; und diesmal aß er anstelle der gekochten Eier, mit denen er sich den Abend zuvor gefüllt hatte, einen riesigen Puter, zwei Rebhühner und eine Täubchenpastete«.[11]

 

Eben so wenig kann man ausschließen, dass Fiorilli das Kleid des Dieners von Don Giovanni trug, obgleich es in diesem Fall auch vorstellbar ist, dass der Schauspieler nur eine einzige Szene (einen Lazzo) als >komisches Finale< am Ende der Rosaura gespielt hat: wahrscheinlich die des finalen Festessens bei der bevorstehenden Ankunft des Komturs. Molière ließ sich im Oktober desselben Jahres 1658 mit seiner Truppe des »Illustre Théâtre« in Paris nieder und teilte fortan mit den berühmten Italienern den Saal des Petit Bourbon. Tiberio Fiorilli und seine Frau werden im Sommer des Jahres 1659 kurz vor der Zerstörung dieses Theaters Paris verlassen haben.[12] Es ist demnach wahrscheinlich, dass der französische Schauspieler-Autor einige Aufführungen des italienischen Schauspielers gesehen und geschätzt hat, unter denen außer dem Convitato di pietra auch Il Medico volante und der Basilisco di Bernagasso gewesen sein könnten. Dieses Neben- und Miteinander spielte sicher eine entscheidende Rolle für den Einfluss des italienischen Theaters auf Molière.

Dennoch bleibt die Spur, die Scaramouche auf dieser Figur hinterlassen hat, unseren Augen verborgen. Tatsache ist, dass – wie Molière (oder einer seiner Zeitgenossen) schreibt – Scaramouche nicht sprach, und noch weniger schrieb, und daher seine Hinterlassenschaft den Verehrern des literarischen Denkmals verschwiegen bleibt. Auch wenn diese Stille teilweise von seinem jüngeren Gefährten und Komplizen Dominique Biancolelli ausgefüllt wurde – dank der Vermittlung des Notars Thomas-Simon Gueullette, der zusammen mit anderen Manuskripten auch den Canovaccio des Convitato di pietra transkribierte, ins Französische übersetzte und »edierte« –, dürfen wir keineswegs davon ausgehen, in der Transkriptions-Übersetzung dieses Canovaccio aus dem 18. Jahrhundert eine getreue Kopie des ersten Convitato di pietra von Biancolelli vorzufinden.[13] Um den Eifer von Biancolelli zu verstehen, mit dem er sich in das französische Modell fügte, wäre die Lektüre des verloren gegangenen Canovaccio hilfreich, den er höchstwahrscheinlich am 14. Januar 1660 am Wiener Hof spielte. Dieser Hinweis erlaubt es, die Beschäftigung des Schauspielers mit dem Mythos des Convitato di pietra um einige Jahre vorzuverlegen: fünf Jahre vor Molière und acht Jahre vor der Überarbeitung, die uns durch das Manuskript von Gueullette überliefert ist. Die Aufführung des Convitato di pietra durch eine nicht ermittelte italienische Truppe, in der aber mit Sicherheit Arlecchino erscheint, ist in einem Brief von Bartolomeo Franceschini an die Fürstin Maria von Mantua vom 17. Januar 1660 belegt:

 

»il mercordì 14 gennaio che fu, il Convitato di pietra molto bella comedia […], il Arlequino secondo Zane a Sua maestà li dà tanto gusto che non si polle dire di più, ma li padri Jesuiti sono tanto contrari alli comedianti che non si polle dire di più abenché non fano né atto né parola disoneste alcuna«

 

am Mittwoch, dem 14. Januar, gab es die sehr schöne Comedia Il Convitato di pietra  […], der Arlequino, zweiter Zanni, gefiel Seiner Majestät außerordentlich, aber die Jesuiten sind absolut gegen die Comödianten, obgleich sie weder unehrenhafte Handlungen noch Wörter anführen.[14]

 

Der einzige in dieser Zeit bezeugte Arlecchino war der vierundzwanzigjährige Dominique Biancolelli; zu seiner Truppe gehörte unter anderen auch Isabella Franchini (Colombina), die Mutter von Dominique. Gestützt ist diese Datierung durch einen Hinweis, der sich in La Vie de Scaramouche von Angelo Costantini findet, der für dasselbe Jahr die Einladung der italienischen Comici durch die Habsburger erwähnt:

 

»Mentre si faceva ammirare a Milano, fu richiesto con la sua compagnia di andare a Vienna, a recitare alla Corte dell’Imperatore. D’altro lato il cardinale Mazzarino pregò il principe Alessandro Farnese di far passare Scaramuccia in Francia. Scaramuccia che aveva appreso la fama di grandezza e generosità di Luigi XIV, non esitò un momento a rifiutare l’offerta dell’Imperatore e, col gradimento del Principe di Parma, decise di passare in Francia, dove si recò verso il 1660

 

Während er sich in Mailand bewundern ließ, wurde er mit seiner Truppe nach Wien berufen, um am Hof des Kaisers zu spielen. Andererseits bat Kardinal Mazarin den Fürsten Alessandro Farnese, Scaramuccia nach Frankreich gehen zu lassen. Scaramuccia, der von der viel gerühmten Größe und Großzügigkeit Ludwigs XIV. gehört hatte, zögerte nicht einen Moment, das Angebot des Kaisers abzulehnen und, zum Wohlgefallen des Fürsten von Parma, entschied er, nach Frankreich zu gehen, wohin er sich 1660 begab«[15]

Auch Biancolelli und seine Mutter seien mit ihren Kollegen ein Jahr darauf in Paris angekommen, wo sie gemeinsam mit Scaramouche im Zuge der Festlichkeiten anlässlich der Hochzeit von Ludwig XIV. von einer Periode geglückter Aufführungen profitiert hätten.[16]

Demnach hätte der Arlecchino Biancolelli «eine seiner» Versionen des Convitato di pietra gespielt, bevor er die von Molière gesehen hatte; ließ aber schnell nach der – im Übrigen recht kurzlebigen – Ära des Dom Juan eine neue Version erscheinen; der Misserfolg, der dem Dom Juan durch die Zensur und die Intrigen gegen Molière zuteil wurde, könnte den italienischen Schauspieler Biancolelli zu einer entsprechenden Selbstzensur bewogen haben. Das bekräftigt den Umstand, dass die Anpassung der Italiener an die Franzosen – ein Vorgehen, das gerade von denjenigen eifrig praktiziert wurde, die mehr oder weniger vergeblich um Anerkennung als Staatsbürger in vollem Sinne, und nicht mehr nur als Fremde bemüht waren – nicht unwesentlich dazu beiträgt, einige historische Wahrheiten des Teatro dell’Arte dieser Jahre zu verdunkeln oder zumindest durcheinander zu bringen.

Unter Berücksichtigung der «Entstellungen» der Zeit und der späteren Tradition zeigen sich im Vergleich der drei Texte – der von Gueullette vorgelegten Transkription des Canovaccio Biancolellis, dem Text von Cicognini und dem von Molière – zwischen den ersten beiden starke Übereinstimmungen und einige auffällige Diskrepanzen zwischen dem ersten und dem dritten, was die oben erwähnte Diachronie bestätigt. Bezogen auf die hier vorgenommene Gegenüberstellung muss jedoch unbedingt darauf hingewiesen werden, dass der Text von Biancolelli sich im Wesentlichen darauf beschränkt, die Aktionen und einige Späße wiederzugeben, in denen Arlecchino auftaucht: Streng genommen handelt es sich eher um einen »Generico«[17] des Protagonisten als um einen wirklichen »Canovaccio« mit vollständigen Hinweisen, die alle Figuren und Aktionen betreffen.

Hierfür genügt es, die berühmte Szene heranzuziehen, in der die Liste der hintergangenen Frauen zur Schau gestellt wird: eine Szene, die beim Don Giovanni von Mozart und Da Ponte landen wird und die von Cicognini zu Biancolelli gelangt, ohne jedoch bei Molière aufzutauchen. Arlecchino, Diener von Don Giovanni, wendet sich im Canovaccio an die von dem Lüstling betrogene Fischerin und zeigt ihr, «qu’elle n’est pas la centieme qu’il a promis d’espouzer [dass sie nicht die Hundertste ist, der er eine Heirat versprochen hat] » und fügt hinzu, »Tenez (…) voila la liste de touttes celles qui sont dans le mesme cas que vous, et je y vais adjouter vostre nom [Nehmt (…) hier die Liste all derjenigen, die in der gleichen Lage wie Ihr sind und auf der ich Euren Namen hinzufügen werde] »; damit entrollt der Diener die Liste ins Parterre und fragt das Publikum: «Voyez, Messieurs, si vous n’y trouverez pas quelqu’une de vos parentes [Sehen Sie nach, meine Herren, ob sie nicht eine ihrer Verwandten finden]«.[18] Im Text von Cicognini erscheint die « Liste»der Frauen in mindestens zwei Szenen (I/11 und I/13), um dann in einem im Text nur knapp verzeichneten Lazzo zu kulminieren: » Qui il Zanni getta la lista [Hier wirft der Zanni die Liste]«, wobei er hinzufügt: »Guardè s’al ghe n’è qualche centinaria su sta lista finì [Hier sieh nach, ob nicht die Hundertste auf dieser Liste gelandet ist].«[19] Die Herkunft dieser wirkungsvollen Szene steht außer Frage, während die Gründe, weshalb Molière sie ausspart, im Dunkeln bleiben. Uns bleibt nur, die Ableitung der arlecchinesken Fassung von dem Florentiner Text als sicher zu verzeichnen, der, wie wir gesehen haben, nachweislich zwischen 1663 und 1666 in Druck ging, dem aber seit etwa 1633 etliche erfolgreiche Aufführungen vorausgingen.[20]

An anderen Stellen ist sowohl die Anlehnung Biancolellis an Cicognini als auch das Fehlen der dramaturgischen Vermittlung Molières offenkundig. Dies kommt bspw. in der siebenten Szene des ersten Aktes zum Ausdruck, in der der Diener Passarino (Vorgänger von Arlecchino und dann von Sgaranelle) inkognito dem Padrone Don Giovanni in einem lächerlichen Duell gegenüber tritt. »Qui va là [Wer ist da] « lautet die Eingangsfrage, dieselbe, mit der Don Giovanni die Szene betritt; darauf folgt die Improvisation des Mantel- und Degenstücks: »Passarino Ohimè, alla ved’ imbroiada, eh cospetton… (Qui caccia mano alla spada, e poi si slonga in terra con la spada nuda drizzata, e Don Giovanni li tira cartellate su la spada e poi si scoprono) [Passarino Ah, Ihr habt ihn vor seinem Angesicht betrogen…(Hier legt er die Hand an den Degen, wirft sich mit blankem aufgerichtetem Degen auf die Erde und Don Giovanni zieht ihm Degenhiebe über, dann geben sie sich zu erkennen)].« Das entspricht der von Biancolelli beschriebenen Szene: »je me jette à terre sur le dos, tenant mon éspée à deux mains et je la remue de façon qu’il la trouve toujours, enfin je la baisse en disant: »Ah, je suis mort! « [ich werfe mich auf den Rücken zur Erde, nehme meinen Degen in zwei Hände und bewege ihn so, wie es üblich ist, schließlich lasse ich ihn sinken und sage: »Ah, ich bin tot! «.[21]

Beinahe wörtlich von Cicognini übernommen erscheinen die (in der Version von Molière nicht auftauchenden) Überlegungen Arlecchinos bezüglich des «cri public qui promet 10 mille escus, et la grace de 4 bandits, à qui descouvrira l’autheur de la mort du Commendeur [der öffentlich ausgesetzten Belohnung von zehntausend Talern und der Begnadigung von vier Banditen, die demjenigen winken, der den Mörder des Komturs stellt]»; im Convitato di pietra liest man: » Ottavio: (…) chi darà in cognizione a Sua maestà ove si trova chi ha ucciso il Comendatore, guadagnerà dieci mila scudi e quattro teste di banditi [Ottavio: […] derjenige, der Seiner Majestät bekannt gibt, wo sich der Mörder des Komturs befindet, erhält als Belohnung Tausend Taler und vier Köpfe von Banditen] «. Die Szene geht mit der burlesken Befragung weiter, welcher Fichetto den anderen Zanni Passarino unterzieht; im Dokument von Biancolelli ist einige Szenen zuvor eine ähnliche Befragung des Arlecchino durch Patalone wiedergegeben: Allerdings könnte es sich hierbei auch um eine Montage handeln, die mehr dem Zutun des Kopisten und Übersetzers geschuldet ist als dem Anliegen des Autors.[22] Auch die folgende Szene, in der Arlecchino von Don Giovanni auf die Probe gestellt wird, ist in abgewandelter Form dem Modell von Cicognini entnommen (und bei Molière nicht vorhanden). So heißt es im Text des Florentiners:

 

»Don Giovanni Senti, io voglio far una prova, se a caso tu capitassi nelle mani della giustizia, se starai saldo a’ tormenti per amor del tuo padrone. Passarino O quest sì: più tost ghe resta la vita del pover Passarin morta in su i torment, che mai confessar

 

Don Giovanni Höre, ich will Dich testen, wenn du zufällig in die Hände des Gesetzes fallen würdest, ob du aus Liebe zu Deinem Herrn der Folter trotzen würdest. Passarino Oh das gewiss: Eher würde der arme Passarino unter der Folter sein Leben lassen als zu gestehen«.

 

Nach dieser Grundsatzerklärung und einer Reihe improvisierter Lazzi gibt der verängstigte Diener dann doch klein bei und es kommt zum Kleidertausch zwischen beiden; im Canovaccio von Biancolelli spielt sich die Szene wie folgt ab:

 

»Dom Jouan, qui se mefie de moy, met l’espée à la main et me menace de me tuer si je parle, je luy jure que je ne diray mot», «Mais, - me dit-il – si l’on te donnoit la question? » «Cela ne me fera pas parler» «Voyons cela», il feint alors de me donner la question et d’estre le barigel, j’avoue tout«.

 

»Dom Jouan, der mir misstraut, nimmt den Degen zur Hand und droht mich zu töten, wenn ich spreche, ich schwöre ihm, kein Wort zu sagen«, »Und was ist, – so er zu mir – wenn man dir die Frage stellt? « »Das wird mich nicht zum Sprechen bringen« »Wir werden sehen«, daraufhin gibt er vor, mir die Frage zu stellen und der Folterknecht zu sein, und ich gestehe alles ein».

 

Auch hier endet die Szene mit der Kapitulation des Dieners und dem Tausch der Kleider.[23] Und auch die Szenen am Ende der Handlung, die um den gedeckten Tisch spielen und zwischen Erinnerungen an amouröse Abenteuer und Lust auf Speisen alternieren, scheinen Cicogninis Text mehr an Biancolellis als an Molières Text zu rücken, bei dem die Lazzi, die die Mahlzeit von Sganarello ausschmücken (IV/7), keinen Raum zum Abschweifen auf erotische Abenteuer des Padrone lassen, was dagegen dank Passarino und Arlecchino in den beiden »italienischen« Fassungen der Fall ist. Der erste erinnert den Padrone zunächst an »Napoli, quella bella zovenotta [Neapel, jenes schöne, junge Mädchen]« und dann an »Quella pescatrice, che cedè quell’abit quand a cascasim in tal mar, ve piasevela mò [Jene Fischerin, die ihr Kleid ablegte, als wir in dieses Meer fielen, sie gefiel Euch sehr]« (III/5). Arlecchino entwickelt über dieses Thema Essen und Erotik eine lange (improvisierte?) Variante, die Molière nicht erwähnt:

 

»Pendant le repas il me demande des nouvelles de la Signora Lizetta, je luy dis que. J’ay esté chez elle et qu’elle n’y estoit pas, il me reproche que je ments, »Si cela n’est pas, – luy repons-je – que ce morceau puisse m’estrangler!« (je prens un morceau de viande sur la table) »Et sa suivante?« »Elle estoit aussy sortie« »Cela est faux« »Si je mens – luy dis-je – que cet autre morceau puisse m’empoisonner!, alors il me dit »Ne jure plus, j’aime mieux te croire«. […] Quand je suis à table et que je mange, je ne reponds à Dom Jouan que par monosillabes: »De quelle taille est-elle?« »Courte« »Où demeure-t-elle« »Pres« »Comment l’appelle-t-on?« »Anna« »A-t-elle pere et mere? »Ouy« »Où l’ai-je vue la premiere fois?« »Au bal« »Quel age a-t-elle?«, je montre deux fois mes deux mains pour marquer qu’elle a 20 ans.

 

Während des Essens fragt er mich nach Neuigkeiten von Signora Lizetta und ich erzähle ihm, dass ich bei ihr war und dass sie nicht da war, er wirft mir vor, dass ich lüge, »Wenn das nicht so ist, – antworte ich ihm – soll ich an diesem Bissen ersticken!« (ich nehme ein Stück Fleisch von der Tafel) »Und ihre Gefährtin?« »Sie war auch ausgegangen« »Das stimmt nicht« »Wenn ich lüge – sage ich ihm – soll mich dieser andere Bissen vergiften!«, also sagt er zu mir« Schwöre nicht mehr, ich will dir lieber glauben« […] Als ich an der Tafel sitze und esse, antworte ich Dom Jouan nur noch einsilbig: »Wie groß ist sie?« »Klein« »Wo wohnt sie« »In der Nähe« »Wie heißt sie?« »Anna« »Hat sie Vater und Mutter?« »Ja« »Wo habe ich sie das erste Mal gesehen?« »Auf dem Ball« »Wie alt ist sie?«, ich zeige zweimal meine beiden Hände um klar zu machen, dass sie 20 Jahre alt ist.«[24]

 

Der von Arlecchino Biancolelli vorgestellte Schluss steht der Überlieferung Cicogninis näher als dem Text Molières. So hat bspw. die Anspielung auf die schwarze Ausstattung (»Je dis qu’il faut que la blanchiseuse de cette maison soit morte, car tout est icy bien noir« / »Ich sage, dass die Waschfrau dieses Hauses tot sein muss, denn alles ist hier sehr schwarz«) ihr Pendant in der »schwarzen Tafel« des italienischen Textes[25]; aber auch das schlangenartige Gericht, das bei Cicognini dargereicht wird (»Don Giovanni Ma che cibi sono questi? Magnerò se fossero serpenti« / »Don Giovanni Was ist das denn für eine Speise? Ich werde sie essen, selbst wenn es sich um Schlangen handelt«), wandelt sich von der Metapher zum realen Mahl im Canovaccio: »[Don Giovanni] prend un serpent dans un plat en disant: ˃J’en mangeray, fusse le diable! (il mord à mesme) Et je veux te charger de ses cornes˂ [(Don Giovanni) nimmt eine Schlange vom Teller und sagt: ˃Ich werde davon essen, und sei es der Teufel! (er knabbert daran) Und ich will, dass Du seine Hörner übernimmst˂]«.[26]

In anderen Fällen scheint mir die vermutete Ableitung Biancolellis von Molière erzwungen. Es ist zum Beispiel schwierig, bei der Szene des Kleidertauschs zwischen Don Giovanni und Don Ottavio die Vorreiterrolle eines Autors gegenüber dem anderen zu bestimmen. Der Kleidertausch, bezeugt für die Tradition, die auf Tirso de Molina zurückgeht (II/12), und wieder aufgenommen von Cicognini (II/1), wird bei Molière dahingehend abgeändert, dass er den Tausch zwischen dem Padrone und dem Diener Sganarelle stattfinden lässt (II/5)[27]; Biancolleli hingegen schlägt eine Verdopplung des Tauschs innerhalb der Stände vor: Dem zwischen Don Giovanni und Don Ottavio fügt er den zwischen Pantalone und Arlequin hinzu: »Dom Jouan propose au Duc de changer avec luy de manteau pour aller en bonne fortune, il l’accepte, je fais la même chose avec Pantalon [Dom Jouan schlägt dem Herzog vor, mit ihm den Mantel zu tauschen, um Glück zu haben, der akzeptiert, ich mache dieselbe Sache mit Pantalon]«.[28] Ähnliches lässt sich über den Lazzo der Ohrfeige sagen, die der Herr dem Diener sofort danach verabreicht.[29] Man beachte aber auch die Szene auf dem Friedhof vor der Statue des Komturs, bei der Cicognini, Biancolelli und Molière demselben Muster folgen, mit einer kleinen Abweichung im ersten Text, in dem die Einladung zum Abendessen zweimal an die Statue gerichtet wird.[30]

Beispielhaft bleibt der Fall der Schlussworte, die Molière in den Kleidern des Dieners Sganarelle mit dem fünfmal wiederholten Ausruf von der verlorenen Bezahlung ausspricht (»Ah! Mes gages! Mes gages! […] Mes gages! Mes gages! Mes gages! / Ach! mein Lohn! mein Lohn! […] Mein Lohn! mein Lohn! mein Lohn!«): Sie fehlen in allen anderen Versionen des Dramas, sind jedoch bei Cicognini und Biancolelli, aber auch im Canovaccio der florentinischen Handschrift von 1657, von dem noch zu sprechen sein wird, hartnäckig vorhanden. Diese Zeugnisse lassen die Waage der Tradition zusätzlich auf der »italienischen« Seite ausschlagen.

Gerade das direkte und indirekte Sichtbarwerden der Spuren einer Handschriften-Tradition lehrt uns, jenen nicht nur imposanten, sondern auch übermalten convitati di pietra zu misstrauen, die in Druckausgaben zu uns gelangt sind. Unser Ziel ist es nicht, die Verdienste unbestritten großer »Schriftsteller« in Misskredit zu bringen, die, wie Molière, es verstanden haben, Vorbilder ihrer Inspirationsquellen zu werden, indem sie etwas vorantrieben, was wir als Selbstzensur der »Kleinen« bezeichnen könnten: Der Historiker versucht heute hinter die von den Einbalsamierern der Verhältnisse gewollte literarische Neuordnung zurückzugehen, um nicht nur ein klareres Verständnis der materiellen Theatergeschichte zu fordern, sondern auch eines der »Dramaturgie in Aktion«, welche die der Comici, unwichtig ob italienische oder französische, jenes großen Jahrhunderts war. Natürlich sind wir – wie fast immer für die Theatergeschichte, ob der vormodernen oder der modernen – nicht im Stande, der Teilkritik der jüngeren Quellen eine organische Rekonstruktion der Primärquellen folgen zu lassen, da diese quasi vollständig schweigen, so wie das Spiel von Scaramouche oder wie der Wiener Convitato di pietra von Biancolelli. Es reicht, hier die Bedeutung einer Recherche der Quellen zu bekräftigen, die vor allem darauf bedacht ist, einen dramaturgischen europäischen Raum anzuerkennen, der vor der Nationalbewegung der großen Theaterliteraturen existierte und der mit einer Vielzahl von Traditionen verknüpft ist, welche sich nach den Regeln der Nationalkulturen a posteriori kaum voneinander trennen lassen. Eine solche Reise à rebours legt nicht auf apodiktische Weise gewisse Genealogien, Zugehörigkeiten oder Abstammungen fest. Sie ruft eine Komplexität und eine Kontamination wach, in der die Bastarde und die Betrüger führen.

 

Tartuffe und Il Dragone di Moscovia o il Basilisco di Bernagasso

Einen anderen Fall von italienischer Einmischung (oder Nachahmung) im Werk Molières bietet sich mit dem Tartuffe. Der Text ist uns durch den vom Autor autorisierten Druck vom 23. März 1669 überliefert (mit Privileg vom 15. März), der der Wiederaufnahme auf der Bühne am 5. Februar des gleichen Jahres folgte. Es scheint als hätten sich die Gegner der Comödie bei diesem Anlass in Schweigen gehüllt und sogar die Ablehnung aufgehoben, mit der sie dem Stück schon vor seiner ersten Aufführung am 12. Mai 1664[31] begegnet sind und die in der Zensur der revidierten Version (L’imposteur, dt. Der Betrüger) anlässlich der Wiederaufnahme vom 5. August 1667 kulminierte. Die erste Fassung des Werkes ist verloren gegangen. Man weiß jedoch, dass sie aus nur drei Akten bestand, wie das Registre von La Grange belegt.[32] An diesem Punkt geht es uns weniger darum, Vermutungen über die textlichen Veränderungen anzustellen, die im Verlauf dieser fünf entscheidenden Jahre vorgenommen worden sein könnten (im Übrigen die gleiche Zeit, in der sich auch die mühselige Geschichte des Don Giovanni abspielt), als vielmehr darum, sich mit der Dynamik ihrer ersten Bühnenkomposition auseinanderzusetzen. Besonderes Interesse weckt in diesem Zusammenhang die Feststellung, dass – nach Aussage Molières selbst – nur acht Tage nach Erscheinen der ersten Ausgabe des Tartuffe (1664) eine Aufführung von Tiberio Fiorilli mit dem Titel Scaramouche ermite stattgefunden haben soll.[33] Von dieser Vorstellung, die ein Canovaccio gewesen sein muss, ist uns außer dem Titel ein beiläufiger und später Nachweis in einer Anmerkung von Voltaire überliefert:

»Très froide si elle n’eût été licensieuse, dans la quelle un ermite vêtu en moine monte la nuit par une échelle à la fenêtre d’une femme mariée,et y reparaît de temps en temps en disant: Questo è per mortificar la carne.

Sehr dröge, wenn sie nicht so freizügig gewesen wäre, in der ein als Mönch verkleideter Eremit mithilfe einer Leiter zum Fenster einer verheirateten Frau emporsteigt, von Zeit zu Zeit vortritt und sagt: Das mache ich, um das Fleisch zu züchtigen[34]

 

Die Tradition, besonders die französische, ist der Auffassung, dass die Italiener eher bereit gewesen waren, die Texte anderer zu imitieren und zu parodieren als neue zu produzieren. Auch die Spanier behaupteten, auch sie mitunter berechtigt, dass die Italiener einfach ihre Texte aus dem 17. Jahrhundert popularisierten. Trotzdem ist es unverständlich, warum Molière und mit ihm andere Größen des allgemeinen Pantheons nicht endlich vor dasselbe Gericht gestellt werden können, und das Werturteil ihrer Werke unangetastet bleibt, auch wenn diese ebenfalls im Pausverfahren der Tradition produziert worden sind. Die Berechtigung, den Canovaccio von Scaramouche zeitlich vor das Opus von Molière zu datieren, kam im Grunde einzig von Molière selbst. Die Geschichte des Festin de pierre und allgemein die der Dramaturgie von Autoren wie Cicognini, haben in der Tat gezeigt, wie lang die szenische Bearbeitung vieler Texte ist, die dem Repertoire der so genannten Commedia dell’arte zugeschrieben werden können: im lebendigen Kontext der Bühne und auf Flugblättern kontinuierlich überarbeitet und »aufgefrischt«, bevor sie in Druck gingen und über Bücher verbreitet wurden.[35] Das Auftauchen jenes Hinweises auf die Aufführung des Canovaccio von Scaramouche »als Eremit« bedeutet nicht zwingend, dass es sich tatsächlich um die allererste Aufführung handelte. Es könnte sich ohne Weiteres um die Wiederaufnahme eines bereits bewährten Stoffes handeln.

»Bewährt« nicht nur in der szenischen Praxis, sondern auch in der täglichen Berichterstattung. In diesem Zusammenhang ist tatsächlich darauf aufmerksam zu machen, dass die Quellen der Theaterliteratur – in Anlehnung an eine alte literarische Gewohnheit – allzu oft in der Theaterliteratur selbst gesucht werden, und dabei vergessen wird, dass die Theaterbühnen der täglichen Berichterstattung viel näher standen als der Literatur.[36] Und tatsächlich führen uns die Nachrichten, die sich in den Mitteilungen der damaligen Berichterstatter niedergeschrieben finden, vor Augen, welche die Einflüsse waren, denen Biancolelli und Molière auf eine unterschiedliche Art und Weise ihre Aufmerksamkeit schenkten. In einigen Berichten wird die Geschichte von dem einen oder anderen »Eremiten« erzählt, das heißt genau von jener Spezies, die im Titel des Canovaccio von Scaramouche erscheint. Es handelt sich um Gestalten, die seinerzeit recht häufig in Aufzeichnungen auftauchen und weniger religiöse Gestalten als Außenseiter waren, Relikte einer zwischen Bettlertum und religiöser Berufung schwebenden Sozialgeschichte. In einer Aufzeichnung vom 9. Januar 1667 ist zu lesen:

 

»Un de ces vagabonds Hermite / Qui font si bien les Chatemites / Et passent l’Espiègle en bontours / Estant venu les derniers jours / Près cette ville, en un village / Où l’on festoit le Patronage, / Et sçachant que chez le Curé / Tout étoit de mieux préparé / Pour traiter bonne Compagnie / Au bout de la Cérémonie, / Se propose très-bien et beau / De prendre sa part au Cadeau / Et d’en tirer ou Pied ou Aile / Par une ruse assez nouvelle.

 

Einer dieser Eremiten-Vagabunden / die sich so gut verstellen können / und als Schelme umhergehen / ist in den vergangenen Tagen / in einem Dorf nahe dieser Stadt eingetroffen / wo man das Patronatsfest feierte/ und bekannt war, dass beim Pfarrer / alles bestens vorbereitet war / um nach der Zeremonie / gute Gesellschaft zu leisten / Er bat freundlich und höflich / seinen Teil von der Festgabe nehmen zu dürfen / und auf die eine oder andere Weise davon zu profitieren/ mittels einer recht neuen List.«

 

Nachdem er eine gute Predigt vorgetragen hat, bittet der wackere »Eremit« darum, sich die Kehle erfrischen zu dürfen und beginnt daraufhin vom Buffet zu kosten: Im Handumdrehen werden alle Speisen von ihm verschlungen[37]; verschlungen von den Hunden wird hingegen ein anderer »Eremit«, den der Chronist – gewissermaßen im Gegensatz zum vorigen – definiert als »Un bon et veritable Hermite / et non point du tout hypocrite / (Comme maint, digne d’être Honny) [»Ein guter und wahrer Eremit, und überhaupt kein Heuchler / (Wie mancher, der es verdiente, angeprangert zu werden)]«[38]. Auf dem Hintergrund dieser Berichterstattung färbt sich auch der »Eremit« von Scaramouche in den Schattierungen des Zeitgeschehens, in welchem sich, immer durch die Hand der Chronisten jener Zeit, fantastische Züge niedergeschlagen haben, die sich wiederum dazu eigneten, in die Dramaturgie zurückzufließen. Entsprechend relevant ist das Auftauchen eines weiteren mythischen Themas, das – wie wir noch sehen werden – einer weiteren, Biancolelli und Scaramouche gemeinen Figur, dem »Basilisken«, anhaften wird. In einer Chronik vom August 1665 berichtet der Versdichter Mayolas wie

 

 

»Dans Bourges, un Bazilic / Beste maligne et dangéreuse / Et dont la figure est afreuze / Par le poison de ses regards / Y lançant de funestes dards, / Et qui mesme, sans qu’on la voye, / De ceux qu’elle void fait sa proye

 

In Bourges, ein Basilisk« getötet wurde, eine »bösartige und gefährliche Bestie / Deren Gestalt abscheulich ist / Die, mit Gift ihrer Blicke / Unheilvolle Pfeile auswirft, / Und die, ohne selbst gesehen zu werden, / Diejenigen zur Beute macht, die sie sieht«.[39]

 

Es handelt sich nahezu um die alltägliche Verkörperung eines Alptraums der mittelalterlichen Symbolik, auf den wir später näher eingehen, wenn wir ihm als Name des zweiten Schauspielers Scaramouche in einem Canovaccio von Biancolelli wieder begegnen. Andere Berichterstattungen dieser frühen, der Obrigkeit hörigen Journalisten zeigen, dass der Teufel verführerische Gestalten annehmen kann, die denen des namengebenden Helden Tartuffe von Molière nicht unähnlich sein werden:

 

»Il n’avait ni grife ni corne, / Ni queue, au moins qu’on veist alors, / Ni pas un des affreux dehors / Qu’on donne aux demons en peinture; / Il étoit de riche stature, / Il avoit l’œil riant et beau, / Il parut même à la Bourgeoise / Vestu des mieux à la Françoise / Selon la mode d’apresent

 

Er hatte weder Tatzen noch Hörner/ Noch einen Schwanz / Noch jenes grauenvolle Äußere, / Das den Dämonen in der Malerei gegeben wird; / Er war von großem Wuchs, / Er hatte heitere und schöne Augen, / Er schien sogar bürgerlich / in bester französischer Manier gekleidet / nach der aktuellen Mode«.[40]

 

Es ist demnach sehr wahrscheinlich, dass die zeitgenössische Berichterstattung Biancolelli, Scaramouche und Molière viele Anregungen lieferte, mit denen die drei jedoch ganz unterschiedlich umgegangen sind. Die tatsächliche Verschmelzung von Einflüssen in diesem Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts zu entschlüsseln, ist besonders schwierig. Allerdings hebt sich das Problem nicht vom großen Teil der Theatergeschichte ab, die der Epoche der interlinguistischen und interkulturellen Verflechtung angehört und somit noch vor der Nationalbewegung liegt. Deren Ausmaß tritt im Frankreich der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts nicht zuletzt deshalb besonders deutlich zutage, weil sich die Sinnbilder der tragischen wie der komischen linguistischen Versteinerung parallel durchgesetzt haben (an der Seite von Corneille und Racine ist auch Molière zu den »Steinernen« zu zählen, der in gebührendem Maße veröffentlicht und abgeändert wurde, und so eine Metamorphose vom Schauspieler zum Autor erlebte). Der von Delia Gambelli[41] erstellten, ausgiebigen und aussagekräftigen Rekonstruktion dieser Tage zufolge hat Domenico Biancolelli wahrscheinlich im Zuge der Zensur des Tartuffe (1667) damit begonnen, in der Sammlung der von ihm aufgeführten Canovacci (darunter auch Il Dragone di Moscovia o il Basilisco di Bernagasso) Ordnung zu schaffen. Enthalten habe die handschriftliche Sammlung die Les Italiens zuzuerkennenden Arbeiten von 1662 (dem Jahr, in dem sie erneut in Paris sesshaft wurden) bis zum damaligen Zeitpunkt. Den Ausschlag für die abschließende Sammlung der Canovacci mögen sowohl das Trauma der Verdammung Molières als auch das Bedürfnis gegeben haben, die eigene persönliche Leistung auf Papier zu bannen und damit die Eigenständigkeit der schöpferischen Arbeit gegenüber dem illustren Mitstreiter auf der Pariser Bühne quasi zu verteidigen. Es ist daher nicht ausgeschlossen, dass die dokumentierten Aufführungen älteren Ursprungs sind als das Datum ihrer Aufzeichnung verlauten lässt. Das gleiche ließe sich, trotz der umfangreichen Beweisführung zugunsten einer früheren molièreschen Aufführung, in Bezug auf den italienischen Canovaccio von Biancolelli sagen. Ein Indiz dafür, dass die »leichte« Dramaturgie Biancolellis der »schweren« Molières vorausging, haben wir schon im Zusammenhang mit dem Dom Juan erbracht. Tatsächlich wird noch zu zeigen sein, dass auch das Thema des Basilisken sehr viel älter ist. Der französische Autor könnte es aus einer italienischen Tradition abgleitet haben, die ihm geläufig war. Es ist reichlich unwahrscheinlich, dass er auf frühere Canovacci keinerlei Bezug genommen haben sollte. Auf jeden Fall ist der Hergang des Dragone di Moscovia o il Basilisco di Bernagasso, den wir heute in moderner Ausgabe lesen können, zwischen dem Wenigen, was wir über seinen möglichen Vorläufer sagen können (Scaramouche ermite), und seinem Nachfolger (Tartuffe) anzusiedeln. Der reiche, betrogene Hausherr Arlecchino wird von Biancolelli gespielt, während der Betrüger Scaramouche, ein falscher Eremit, den man sich unschwer in ein dunkles Gewand – Zeichen von Bosheit und finsterer militärischer Strenge – gekleidet vorstellen kann, offensichtlich von Tiberio Fiorilli vorgestellt wird. In beiden Fällen hatte der Autor den Part des hintergangenen Hausherren (Orgon/Molière und Arlecchino/Biancolelli) übernommen. Der Titel des Werkes verweist auf seine Art auf die mythischen und romanischen Ursprünge der Figur (der Basilisk, der auch ein Drachen ist), selbst wenn sie in eine ferne europäische Gegend verlegt sind (Moskau): Gleichwohl sei daran erinnert, dass der Basilisk von Thomas Kyd germanische Ursprünge hatte. Die These, dass der Molière-Text möglicherweise von dem Biancolellis abstammt, stützt Claude Bourqui in dem exzellenten Band, den er den »Sources de Molière« gewidmet hat. Er hat seine Überlegungen folgendermaßen formuliert:

»Il faut bien sûr prendre en compte l’éventualité que le Basalisco soit simplement tiré de Tartuffe et ne constitue qu’une version grossièrement déformée de la pièce de Molière. […] Mais l’hypothèse inverse peut également être retenue: pour Molière, à la recherche de péripéties complémentaires à son noyau de base de Tartuffe, l’enjeu de l’héritage et de la dépossession des biens pouvait naturellement se présenter en complément de l’épisode du fils »deserité˂. Les vers 293-294 de la pièce de Molière (»Je lui faisais des dons; mais avec modestie / Il me voulait toujours en rendre une partie˂) pourraient être dès lors un clin d’œil à un épisode bien connu d’un classique de la commedia dell’arte présent sur la scène du Théâtre Italien de la même époque.

 

Man sollte wohl die Möglichkeit einbeziehen, dass der Basilisk ganz einfach aus dem Tartuffe abgeleitet wurde und nur eine in groben Zügen veränderte Version des Stücks von Molière ist. […] Allerdings kann die umgekehrte Hypothese ebenso geltend gemacht werden: Molière kam dabei entgegen, dass sich der Einsatz des Erbes und des Vermögensverlusts bei der Suche nach weiteren Schicksalswendungen für seine Grundstruktur des Tartuffe als Ergänzung zur Episode des »verlorenen˂ Sohns erweisen konnte. Die Verse 293-294 des Stücks von Molière (»Ich beschenkte ihn; aber mit Maß / Er wollte mir davon immer einen Teil wiedergeben˂) könnte demnach ein Augenzwinkern im Hinblick auf eine sehr bekannte Episode eines Klassikers der Commedia dell’arte sein, die auf der Bühne des Théâtre Italien zur gleichen Zeit präsent war.«[42]

 

 

Die Annahme der zweiten Hypothese, so wenig sie auch beweisbar ist, impliziert eine Umkehrung der bis dato angenommenen zeitlichen Abfolge. Erst kürzlich wurde ein weiteres Argument vorgebracht, um eine ähnliche These zu stützen. Auch hierbei handelt es sich um einen Erklärungsversuch, der es nicht vermag, das steinerne Denkmal von der Tradition abzuschütteln, das bis heute errichtet worden ist. Aber er trägt dazu bei, dass es schließlich Risse bekommt. In dem Buch Molière et le roi kommt François Rey im Gespräch mit Jean Lacouture auf das Thema zurück und regt eine textliche Neudefinition des frühen Tartuffe (des heute verschollenen von 1664) an, um vor die Bearbeitung in fünf Akten zurückzugehen, die schließlich anerkannt und in Druck gegeben wurde:

 

 

»Rien ne permet d’affirmer que le plan de la comédie par la quelle Molière prétendait »décrier les hypocrites« et qui fut trouvée »fort divertissante« était celui d’une cathédrale. De même, rien n’indique que la dimension politique, ou (…) l’ambition que nous lisons dans la pièce imprimée en 1669, a présidé dès l’origine à son écriture. (…) Telle que nous la lisons aujourd’hui, avec sa structure complète et son imposante architecture, la »grande comédie en cinq actes« m’apparaît plutôt comme le point d’arrivée de l’affaire et son accomplissement.

 

Nichts bestätigt die Annahme, dass der Grundriss der Comödie, mit der Molière beabsichtigte, »die Heuchler« zu beschreiben und die als »sehr unterhaltend« empfunden wurde, dem einer Kathedrale entsprach. Ebenso wenig gibt es einen Hinweis darauf, dass die politische Dimension oder (…) die Intention, die wir in dem 1699 gedruckten Stück vorfinden, von Beginn an seine Schrift bestimmt hat. (…) Wie auch immer wir sie heute lesen, mir erscheint die »große Comödie in fünf Akten «mit ihrer gesamten Struktur und ihrer imposanten Architektur eher wie die Bewerkstelligung und der Schlussstein der ganzen Angelegenheit.«[43]

 

Laut Rey war der erste Tartuffe nicht – wie la Grange in seinem Registre nahe legt [44] – die unvollständige Fassung (in drei Akten) eines Werks, das für eine ausführlichere Ausgestaltung (in fünf Akten) bestimmt war; vielmehr sei es eine in sich geschlossene Comödie gewesen, »une pièce à rire [ein Stück zum Lachen]« und eher eine »grande farce [große Farce]«, mit etwas »triomphant, de joyeusement féroce, quelque chose de vert et de rabelaisien dont on ne retrouve plus d’un écho dans ce que nous lisons aujourd’hui comme une sorte de tragicomédie [»Triumphalem, von wildem Vergnügen, etwas Unausgegorenem und Rabelais’schem, wovon in dem, was heute gemeinhin als Tragikomödie gelesen wird, kein Hauch mehr zu finden ist]«[45]; zudem kann nicht ausgeschlossen werden, dass Molière die Comödie im Einflussbereich anderer >Autoren< verfasst hat.[46] Demnach würde es sich um einen Text handeln, der strukturell sehr von der Edition ne varietur abweicht, der sich eher komisch als >moralisch< geriert und der eigentlichen spielerischen Gestaltung der Italiener nahe steht, kurzum ein Text, der sich – aus heutiger Sicht – in gewisser Weise mit den Techniken der Commedia dell’arte in Verbindung bringen lässt (wenn diese von Scaramouche und Biancolelli gespielt worden wäre), wie Molière selbst gerne einräumte.[47]

Im Übrigen übertrafen seine Zeitgenossen, deren Standpunkt alles andere als neutral und objektiv war, weit das Maß unserer Verdächtigungen, und behandelten diese Herkunft mal als Zeichen von Schande und mal als Qualitätssiegel. Molières Verräter übertrieben seine Abhängigkeit immer mit verleumderischen Absichten:

 

»Ses pièces sont-elles si belles? C’est son jeu qui pipe et qui les fait paraître. Les borgeois se lassait de ne voir que les postures et les grimaces de Scaramouche et de Trivelin, et de ne pas entendre ce qu’ils disent. Molière est venu et les a copiés, Dieu sait comment; e aussitôt, à cause qu’il parle un peu français, on a crié: »Ah l’habile homme; il n’a jamais d’égal˂. Il est forcé de tout ce qu’il fait; ses grimaces sont ridicules, et on peut dire que c’est un fort mauvais copiste des Italiens.

 

Sind seine Stücke so schön? Es ist sein Spiel, das täuscht und das sie erscheinen lässt. Die Bürger sehen nichts als die Posen und Grimassen von Scaramouche und Trivelin und verstehen nicht, was sie sagen. Molière kam daher und hat sie nachgemacht, Gott weiß wie; und sobald er ein bisschen französisch sprach, erfolgte der Aufschrei: ˃Ach, der schlaue Mann; es gab noch nie seinesgleichen˂. Er ist von allem, was er tut besessen; seine Grimassen sind lächerlich und man kann behaupten, dass er ein ziemlich schlechter Nachahmer der Italiener ist.«[48]

 

Antoine Baudeau de Somaize präzisiert in seiner Schmähschrift Les Véritables précieuses, comédie en prose (1660), dass in Molières Werk die Nachahmung der Italiener nicht nur in dem zutage tritt, »en ce qu’ils ont joué sur leur théâtre, mais encore en leurs postures, contrefaisant sans cesse sur le sien et Trivelin et Scaramouche [was sie auf dem Theater gespielt haben, sondern noch mehr in ihrer Spielweise, wobei er unablässig sowohl Trivelin als auch Scaramouche abkupfert]«.[49] Eine Anschuldigung, die Jean Donneau de Visé in seinen Nouvelles nouvelles, divisées en trois parties (1663) bekräftigt: »dans le comique il ne fût qu’une copie de Trivelin et de Scaramouche [im Komischen war er nichts als ein Abklatsch von Trivelin und Scaramouche]«.[50] In der Darstellung der höllischen Qualen, die Molière in dem Gedicht L’enfer burlesque von Charles Jaulnay auferlegt werden, wird die Nachahmung der italienischen Berufsschauspieler zur grotesken Verpflichtung: Hier trägt der Schauspieler-Dramaturg ein lächerliches Mäntelchen in »Rouge, vert, noir et violet / Que Scaramouche eut de son oncle [Rot, grün, schwarz und violett / Den Scaramouche von seinem Oheim hatte]« sowie »une barbe de Scaramouche [einen Bart von Scaramouche]«.[51] Diese Beschreibung Molières mögen die bigotten Polemiker als beschämend empfunden haben, uns hingegen gibt sie einen weiteren wertvollen Nachweis (wenngleich in umgekehrter Form) über die Bedeutsamkeit, den Ruhm und das Ansehen des italienischen Schauspielers an die Hand.

Mit weitaus umfangreicheren Argumenten wird diese These in den ersten Tagen des Jahres 1670 von der Komödie mit dem Titel Elomire hypocondre ou les medecins vangés von Le Boulanger de Chalissay[52] gestützt; es handelt sich um eine Parodie auf das Werk von Molière, das nur wenige Tage auf das in den letzten Dezembertagen erschienene Pamphlet La Critique du Tartuffe eines anonymen Autors folgt. Das Titelblatt trägt einen Kupferstich, den Laurent Weyen nach der Zeichnung eines Anonymus angefertigt hat. Links ist Tiberio Fiorilli, rechts Molière zu sehen. Und tatsächlich lautet der Untertitel auf der linken Seite »Scaramouche enseignant [Lehrer Scaramouche]« und der auf der rechten »Elomire estudiant [Schüler Elomir]«; wobei Elomir nichts anderes ist als das Anagramm von »Molière«: Dieser, zum Zeitpunkt der Veröffentlichung 58 Jahre alt, übt sich vor einem Spiegel darin, den großen italienischen Akteur zu imitieren; dieser ist selbst zwar schon 62 Jahre alt, doch ist sein Ruhm nach wie vor ungebrochen, vor allem im Theater des Palais Royal, das sich seine Truppe seinerzeit mit der des französischen Schauspielers und Dramaturgen teilte. Der lateinische Schriftzug unterhalb der Bühnenbretter stellt die Schlüsselfrage: »Qualis erit? Tanto docente magistro?« / »Come sarà una volta educato da un così grande magistro [Was wird wohl aus ihm werden, wenn er die Ausbildung eines so großartigen Meister genossen hat?]«. Scaramouche seinerseits hält eine lange Peitsche in der Hand, mit der er zur Dressur des Schülers schreitet. Mit dieser Geste unterstreicht er seine unanfechtbare Überlegenheit und zugleich die Unterwerfung des französischen Schauspielers.

Schlagen wir an der Stelle nach (I/3, Verse 60-80), an der Scaramouche mit boshafter Gründlichkeit als Vorbild von Elomir-Molière heraufbeschworen wird: »Chez le grand Scaramouche il va soir et matin« – so setzt das Portrait an, in der es um die Theaterausbildung des französischen Schauspielers und Schriftstellers geht: »Giorno e notte va dal grande Scaramouche [Tag und Nacht geht er zum großen Scaramouche]«. Und dann wird nicht ohne ein gewisses Maß an Geringschätzung die Art und Weise hervorgehoben, in der »questo grande scolaro del più grande dei buffoni ripeta cento e cento volte contorsioni, posture e smorfie [dieser großartige Schüler des größten Buffone unter den Buffonen aberhundert Mal Verrenkungen, Haltungen und Grimassen wiederholt]« und den Italiener nachahmt, ihn aufmerksam beobachtet und seine Fratzen vor dem Spiegel wiederholt, mal die Stirne runzelt, mal erbleicht oder sich aus Angst vor der Entdeckung dessen erregt, was er fürchtet, nämlich den Seitensprung der Ehefrau, der ihm im Herzen Zorn und auf dem Kopf Hörner beschert. In Anbetracht all dieser Vorwürfe ist Elomire-Molière gezwungen einzugestehen: »Je suis fou quand j’apprends, et bouffon quand je joue« / »Sono un pazzo quando imparo e un buffone quando recito [Ich bin ein Wahnsinniger, wenn ich lerne, und ein Narr, wenn ich spiele]«. Hierbei handelt es sich um das Eingeständnis einer Abhängigkeit, die, wenn sie für den polemischen Autor des Komödien-Pamphlets auch nicht positiv war, so doch in den Augen des Historikers zumindest das Indiz für eine schauspielerische Tradition ist. Es scheint tatsächlich offenkundig, dass der Kupferstich und der polemische Text des Elomire hypocondre wenn nicht die ganze Wahrheit, so doch zumindest einen Teil von ihr enthalten. Die lebhafte spielerische Gestaltung der Akteure der italienischen Commedia dell’arte liefert der Theaterliteratur des französischen 17. Jahrhunderts das Grundgerüst, auf dem es ihre unsterblichen und universalen Monumente errichten wird.

Andere Quellen bezeugen auf eine andere Art, dass Molière die Italiener im Sinne einer Qualitätsgarantie nachahmte. Der sogenannte Receuil de Tralage kommentiert es so: »Molière aimait fort Scaramouche pour ses manières naturelles; il le voyait jouer fort souvent et il lui a servi à former les meilleurs acteurs de sa troupe [Molière liebte Scaramouche sehr für seine natürliche Manier; er sah ihn sehr oft spielen und dieser hat ihm geholfen, die besten Akteure seiner Truppe auszubilden]«[53]; eine Ansicht, die von der Sammlung Menagiana (1693) wiederholt wurde: »C’était [Scaramouche] le plus parfait pantomime que nous avons vu de nos jours. Molière, original français, n’a jamais perdu une représentation de cet original italien. [Er (Scaramouche) war der vollkommenste Pantomime, den wir in unseren Tagen erlebt haben. Der Franzose Molière verpasste nie eine Vorstellung dieses Italieners]«.[54] Unvermeidlich ist das wohlwollende Pendant, das auf dem Frontispiz des Vie de Scaramouche von Angelo Costantini (1695) zu lesen ist: »Cet illustre Comédien / Atteignit de son art l’agréable manière. / Il fut le maître de Molière / Et la nature fut le sien [Dieser illustre Schauspieler / Erlangte von seiner Kunst die angenehme Art. / Er war der Meister von Molière / Und die Natur war die Seinige]«.[55] Dass diese Schuldigkeiten, gemäß einer verbreiteten, wenn auch nicht neutralen Meinung, beträchtlich waren, finden wir auch in einem Pamphlet von Charles Cotolendi bestätigt, der in seinem Livre sans nom (1695) sehr feinfühlig mit der handwerklichen Tradition der Italiener umgeht und einen vielleicht apokryphen Biancolelli mitverantwortlich macht, wobei er zwar in den Unterstellungen vorsichtig ist, in den theaterschriftlichen Referenzen aber sehr genau:

 

»Si les comédiens italiens n’eussent jamais paru en France, peut-être que Molière ne serait pas devenu ce qu’il a été. Je sais qu’il connaissait parfaitement les anciens comiques, mais enfin il a pris à notre théâtre ses premières idées. Vous savez que son Cocu imaginaire est Il Ritratto des Italiens; Scaramouche interrompu dans ses amours a produit ses Fâcheux, ses contre-temps ne sont que Arlequin valet étourdi; ainsi de la plupart de ses pièces et dans ces derniers temps son Tartuffe n’est-il pas notre Bernagasse?

 

Wenn die italienischen Schauspieler nie in Frankreich aufgetaucht wären, wäre Molière vielleicht nicht das geworden, was er war. Ich weiß, dass er die alten Schauspieler sehr gut kannte, denn immerhin hat er ihre Ideen in unser Theater übertragen. Sie wissen sicherlich, dass sein Cocu imaginaire der Ritratto bei den Italienern ist; Scaramouche, der in seinen Liebesabenteuern unterbrochen wurde, hat seine Fâcheux produziert, seine widrigen Umstände sind nichts anderes als Arlequin valet étourdi; so verhält es sich mit dem Großteil seiner Stücke und in diesen Tagen mit seinem Tartuffe: ist der nicht unser Bernagasse[56]

 

Das Problem bleibt natürlich ungelöst, aber die Anmerkungen, die wir hier haben herborheben wollen, lassen es letztlich nicht zu, die Canovacci von Scaramouche und Biancolelli unwiderruflich vom »Meisterwerk« Tartuffe abzuleiten. Es wird vielmehr angebracht sein, die drei den Tartuffe oder Basilisk betreffenden Texte – zu welcher Hierarchie uns das Werturteil auch verpflichtet – als die Drillingsgeburt einer gemeinsamen Theaterkultur und als unterschiedliche Höhepunkte einer Tradition aufzufassen, die sich fast gleichzeitig neu entzündet.

Die drei Werke, die die Fragestellung hier zusammengeführt hat, haben ihre Wurzeln in einem linguistischen und mythographischen Nährboden der Renaissance, der seinerseits aus älteren, mindestens aus mittelalterlichen Quellen stammt (aus romanischen oder angelsächsischen), jüngsten Analysen zufolge sogar aus klassischen. In ihrem bereits zitierten Werk zeichnen François Rey und Jean Lacouture[57], indem sie bis ins 15. Jahrhundert zurückgehen, kurz die Bedeutung des Adjektivs »tartufe< nach: Und dabei scheint es so, als benenne der Ausdruck »le trompeur davantage que la tromperie, l’imposteur plutôt que l’imposture [mehr den Betrüger als den Betrug]«. Einer ikonographischen Quelle aus der Mitte des 17. Jahrhunderts zufolge ist er sogar auf die Physiognomie eines »commère à la tête plate [Weibes mit flachem Kopf]« zu beziehen.

 

»Elle tient de la main gauche un livre, où elle lit, les yeux presque fermés, en portant sa main droite à sa joue, comme pour s’exstasier. Au-dessous se lisent ces vers: Cette vieille Méduse a le teint si farouche, / L’estomac si mauvais qu’il ne sort de sa bouche / Qu’une haleine puante et des crachats gluants. / Elle en voudrait pourtant encore bien découdre, / Mais son teint jaune pâle et ses yeux de chats-huants / N’en rencontrent pas un qui s’y veuille résoudre.

 

In der linken Hand hält sie ein Buch, in dem sie liest, die Augen beinahe geschlossen, während sie ihre rechte Hand, wie aus Begeisterung, an ihre Wange führt. Darunter ist zu lesen: Diese alte Meduse hat ein wildes Gesicht, /  und ihr ist so übel, dass ihrem Mund nichts entströmt / als stinkender Atem und klebrige Spucke. / Sie würde sich zwar gerne davon trennen / Doch ihr gelblich blasser Teint und ihre Käuzchenaugen / treffen auf keinen, der sich darum kümmern will.«[58]

 

Rey erkennt in dieser Beschreibung eine starke Ähnlichkeit zu dem titelgebenden Helden von Molière und man ist geneigt ihm recht zu geben, wenn er schlussfolgert, »l’homme qui contrefait le saint s’y présente sous le nom d’une putain réformée [der Mann, der vorgibt, ein Heiliger zu sein, stellt sich mit dem Namen einer reformierten Hure vor]«.[59] Doch der Bezug auf die wilde Meduse, auf ihren stinkenden Atem und ihre Ausscheidungen, lassen auch an ein weiteres Moment denken. Der Abscheu aus ihrem Mund, der mit ihrer Zauberkraft gekoppelt ist, erinnert in der Tat an einige unveränderliche Merkmale des »Basilisken«, jenes Phantasiewesens mittelalterlichen Ursprungs, mit dessen Name Biancolelli den Protagonisten jenes Canovaccio taufte, der hier ins Gedächtnis zurückgerufen wurde und das wahrscheinlich Scaramouche spielte. Die Untersuchung belegt die unauflösbare Verbindung unserer drei Figuren und Akteure; doch sie zwingt uns auch zu einer Reise in die Vorstellungswelt des Mittelalters und der Renaissance, auf den Spuren eines symbolischen »Tieres«, das allem Anschein nach am Kreuzweg der wichtigsten europäischen Dramaturgien steht.

Unter Bezug auf die zeitgenössische Berichterstattung haben wir die soziale Analogie zwischen den beiden gleichnamigen Figuren festgestellt, aber auch die Ähnlichkeit zu dem Protagonisten des verlorenen Canovaccio Scaramouche ermite verzeichnet: Fremde, aus fernen Gefilden kommend, denen ein wenig die Züge von Pilgern, ein wenig die von Betrügern anhaften, einzelgängerische Abenteurer, die von einem Nimbus des Mysteriösen umgeben sind, anomale Reisende ohne festen Wohnsitz.[60] Und doch verkörperten diese Figuren nicht nur den Widerhall der täglichen Berichterstattung. Sie brachten auch Bedeutungsinhalte ins Spiel, die über die Gegenwart hinausreichten und schlussendlich mit einer viel weiter zurückliegenden, mythischen Tradition verbunden waren.

 

Romanische Tradition und dramaturgisches Repertoire

 

In einem vor wenigen Jahren erschienenen Aufsatz hat Piero Colombini das Augenmerk auf die verschiedensten Erscheinungsformen des Basilisken in der klassischen, mittelalterlichen und modernen Literatur gelenkt. Er erinnert daran, dass der Basilisk »immaginato con una cresta a guisa di diadema [mit einer diademartigen Krone dargestellt]« und als »temibile come la testa di Medusa [furchterregend wie das Haupt der Medusa]« angesehen wurde.

 

»I suoi effluvi letali corrompono l’aria e cessa istantaneamente di vivere chiunque sia penetrato dal suo sguardo. […] E’ invincibile. […] metafora del male, è una delle forze con cui si manifesta nel mondo la presenza del maligno e come tale è schiacciato dal Cristo. […] è la bestia satanica che il buon cristiano deve sforzarsi di uccidere dentro di sé.

 

Seine tödlichen Ausdünstungen verpesten die Luft und jeder, der von seinem Blick durchbohrt wurde, stirbt auf der Stelle, […] Er ist unbesiegbar […], eine Metapher für das Böse, und eine jener Kräfte, durch die sich in der Welt das Übel manifestiert und als solches wird es von Christus vertrieben. […] es ist das teuflische Wesen, das der gute Christ in sich selbst zu töten sich bemühen muss«.[61]

 

Der Wissenschaftler fuhr fort, indem er weitere ‘Reinkarnationen’ dieses heimtückischen Dämons anführte und erwähnte unter den anderen Werken verschiedene Dramen wie Soliman and Perseda (veröffentlicht 1592[62]), das dem Engländer Thomas Kyd zugeschrieben wird, oder wie die Amorosi inganni des Berufsschauspielers Vincenzo Belando (veröffentlicht 1606, auch wenn der Autor in seiner Adresse an den Leser angibt, die Commedia lange zuvor begonnen zu haben, wahrscheinlich von 1593 an) oder der Inavertito von Nicolò Barbieri, der 1629 erschien.[63] Über diesen Weg und andere interessante Zitate gelangte Colombini zu Tartuffe und zu den Basilisken, die in zahlreichen Canovacci der Commedia dell’Arte zu finden sind, angefangen mit Biancolellis Text, gefolgt von späteren, auch aus dem 18. Jahrhundert stammenden Zeugnissen.[64]

Es steht außer Zweifel, dass der Basilisk, wie viele Tiere und Geschöpfe der klassischen Mythographie, im Laufe des 16. Jahrhunderts jenen Prozess der ˃Degradation˂ oder »Abstufung˂ durchlief, den Wissenschaftler wie Wittkower, Avalle und Zorzi in ihren Arbeiten von unterschiedlichen Ansätzen her diskutiert haben.[65] Solche Veränderungen ermöglichten es, dass der Basilisk leicht aus dem Bereich der Legenden und Mythen auf die Bühne übertragen werden konnte, analog zu dem, was im Zusammenhang mit anderen mysteriösen und überirdischen Figurationen geschah. Wenn man den von Colombi[66] genannten weitere Quellen hinzufügt, so lassen sich die zugehörigen Merkmale präzisieren, die unsere Figur im Übergang vom Mythos auf das Theater mit sich trägt: bspw. seine königliche und teuflische Natur oder seine monströse Erscheinung. Andere Darstellungen rücken ihn in die Nähe der Wollust (die Syphilis wird im 17. Jahrhundert als die Seuche des Basilisken definiert) und, allgemeiner, bringn ihn mit jeder Art boshafter Verführung in Verbindung (diejenige eingeschlossen, die von der Kunst der Rhetorik ausgeübt wurde). Anlehnungen, die erklären, was in den Büchern über mittelalterliche Symbolik zu lesen ist, denen zu folge das Ungeheuer nur durch sich selbst besiegt werden kann, oder vielmehr kraft eines Spiegels, der seinen eigenen giftigen Blick auf es selbst zurückwirft. Seine tödliche Technik besteht aus einer zweifachen Aktion: Erst versteinert es seine Opfer mit seinem Blick, dann tötet es sie; in anderen Quellen ist zu lesen, dass das todbringende Werkzeug seine Spucke ist.

So haben wir hier einige zugehörige Merkmale ausgewählt, denen ein zukünftiger Erfolg auf dem Theater bestimmt ist. Dies zeichnet sich sowohl in der französisch-italienischen Typologie des 17. Jahrhunderts ab (die Wollust und die verführerische Kraft sind die beiden dominanten Charakteristika im Tartuffe) als auch in der angelsächsischen Tradition (die Mesalliance von Kröte und Schlange, seine diabolische und königliche Natur, das Gleichstellen der giftigen Spucke und des Wortes); beiden Traditionen ist jedoch die Bestimmung seines schwachen Punktes gemeinsam: der Narzissmus, symbolisiert durch den Spiegel als Materialisierung der Rede- und folglich auch der Schauspielkunst.

Aber wie bereits erwähnt verliert diese Verschränkung von Laster und Tugend im 16. Jahrhundert sehr stark an Kraft. Der Teufel wurde seit einiger Zeit an den Pranger gestellt. Die bürgerliche Kultur hat sich, indem sie ihn verlacht, allmählich von seiner Herrschaft befreit. In den Dramen, die ihn nach dem 13. Jahrhundert in Europa zum Protagonisten hatten, »il bello del dramma [era consistito] nel sapere che le vanagloriose vanterie dei demoni sarebbero state sempre frustrate [(bestand) das Schöne des Dramas im Wissen darum, dass die eitlen Prahlereien der Teufel stets zunichte gemacht würden]«.[67] Die schauspielerischen Verkörperungen hatten sich im Norden und im Süden des Kontinents vervielfacht: auf der einen Seite die Figur des Vice, des Lasters, in den englischen Morality Plays, und auf der anderen Seite in der Tradition der Commedia all’Arte, vor allem durch die buffoneske Verwandlung des Anführers des höllischen Heeres in Arlecchino[68], aber auch durch die Versionen der Maschera des Capitano, die alle von Teufeln der alten Tradition ausgeborgt wurden: Spavento, Fracasso, Coccodrillo, und eben Basilisco. In all diesen Fällen ist der Teufel nichts anderes geworden als ein Meister der Täuschung und der Faszination.

In der Comödie Salomon and Perseda von Thomas Kyd weist der Basilisk ausgesprochen parodistische Züge auf. Er betritt die Bühne auf dem Rücken eines Maultiers in einer Haltung, die an eine wahrscheinlich zeitgenössische Abbildung erinnert, die heute in den Compositions de Rhetorique von Tristano Martinelli[69] abgedruckt ist, auf der ein kriegerischer kämpferischer Arlecchino ebenfalls auf dem Rücken eines Maultiers zu sehen ist: »Enter Basilisco riding of a mule« (I/4). Der groteske Basilisk stammt hier aus Deutschland: »You are a Rutter, borne in Germanie« / »Ihr seid ein Ritter, geboren in Deutschland« (I/3, V. 15): Er ist ein prahlerischer Krieger des katholischen Heeres der Habsburger. Man kann sich vorstellen, dass er in jenen Jahren in den Niederlanden gekämpft hat, wo die Kaiserlichen gemeinsam mit den katholischen Truppen von Philipp II. gegen die protestantischen Rebellen der holländischen Provinzen eingesetzt wurden, die sich zuweilen als Deserteure herausstellten, so dass ihre söldnerische Unstetigkeit sprichwörtlich wurde. Dieser Krieger ist ein geschickter Redner (I/4, Vers 25: »I think thou art a wordemaker by thin occupation«), wobei die Anmerkung gestattet sei, dass in den elisabethanischen Texten das Wort »occupation« oftmals auch die Bedeutung von »Kopulation« innehat: Dass ein katholischer Soldat mehr in der einen als in der anderen Kunst hervorsticht, gehört zum gängigen verleumderischen Kodex der Schriftsteller jenseits des Ärmelkanals.

Und wenn er – wenn wir seinen Worten Glauben schenken dürfen – über die Kräfte des mythologischen Tieres verfügt, von dem sich sein Name ableitet, wobei er sich dadurch auszeichnet, dass er den Feind mit dem Blick lähmt (II/2, Vers 18: »I with a martial looke astonish him«), bleibt er für andere ein lachhafter Buffone (I/6, Vers 8: »a foole / The fond Bragardo…«). In der Beschreibung (IV/2, Vers 30), die der Diener Pistone von ihm gibt – ein theatraler Partner mit einer ähnlichen Funktion wie sie Arlecchino Tristano Martinelli in Bezug auf Capitan Coccodrillo oder Capitano Matamoros einnimmt –, erscheint er wiederum als ein »fool«, ein Buffone, ein Clown:

 

»He weares a coloured lath in his scabberd / And when twas found upon him, he said he was wrathfull: / he might no weare no iron« / »Er trägt ein Schwert aus Holz im Futteral / und wenn jemand ihn darauf hinweist, sagt er, dass er Eisen nicht gebrauchen darf, / da er jähzornig ist«.

 

Im bereits zitierten und etwa zeitgleich entstandenen Werk von Belando finden sich ähnliche Züge. Quasi direkt erscheint ein namentlicher Bezug. »Seigniour Tremomundo« (V/2, Vers 31-32)[70] wird der Capitano Basilisco in Kyds Stück vom Diener Pistone genannt und Capitano Trememundo ist der Name eines besiegten Rivalen, den der Basilisk von Belando als Beweis seines Ruhmes erwähnt:

 

»Si no fuera por amor de mi señor Cintio (…) te uviera hecho ver el camino que hize hazer al Capitan Trememundo el qual lo tomé por los cabellos, que llevava muy largos, y le embié tan alto que se fue a caer sobre la cabeça de Neptuno que passéava por el mar Oceano.

 

Wäre es nicht wegen der Großherzigkeit meines Herrn Cintio [...] ich hätte dich den Weg sehen lassen, den ich den Capitan Trememundo nehmen ließ, welchen ich bei den Haaren packte, die er sehr lang trug, und den ich so hoch hinaus schickte, dass er Neptun auf den Kopf fiel, der durch das ozeanische Meer spazierte.«[71]

 

Im katholischen und lateinischen Einflussgebiet legt der Blick des Capitan Basilisco ähnliche wundersame Fähigkeiten an den Tag: Sein Bildnis wurde realisiert von nicht weniger als »quaranta pintores, los quales todos murieron haziendo los ojos de mi vista basilisca [vierzig Malern, welche alle starben, als sie die Augen meines Basiliskenblickes malten]«; nachdem das Bild anschließend ins feindliche Lager geschickt wurde, stellte es sich nach und nach als tödlich heraus für «quaranta mil y quinientos y ochenta y cinco soldados, quales todos murieron solo per haver mirado mi espantable diaboliquissimo rostro, como si vieran la cabeça de Medusa [vierzigtausendfünfhundert und fünfundachtzig Soldaten, die alle starben, nur weil sie mein abschreckendes, teuflisches Gesicht erblickt hatten, als ob sie das Haupt der Medusa gesehen hätten]«[72] (I/4). Auch er ist ein »Kopulationskünstler« und seine verführerischen Fähigkeiten sind tödlicher als seine militärischen:

 

»Por otra parte una mujer hermosissima anda tan perdida y consumida por mi amor, que se sta muriendo: esto viene por mi grande y estremada gratia y hermosura.

 

Andererseits läuft eine wunderschöne Frau so verloren und sich nach meiner Liebe verzehrend herum, dass sie im Sterben liegt: Das liegt an meiner großen und herausragenden Anmut und Schönheit]«.[73]

 

Das dritte Merkmal, das dem Capitano Basilisco von Kyd und dem Capitano von Belando gemein ist, ist natürlich die Redegabe, die sich durch eine Fülle von Metaphern auszeichnet und die dazu geeignet ist, den unempfindlichsten Zuhörer mit ungeheuerlichen Monologen zu vernichten. In beiden Texten ist die Capitano/Basilisken-Figur der parodistische Träger von drei Kräften: heroische Stärke, erotische Potenz und rhetorische Macht. In beiden verwirklicht sich eine Parodie, die, wie gesagt, die Verkehrung der mittelalterlichen Tradition ist.

Die zwei Versionen der Figur verbindet die historische Bedeutung. In der fünften Szene des ersten Aktes von Gli amorosi inganni herrscht der Capitano Basilisco den Diener Cantonzo mit einem Schwall von Wörtern an:

 

»De donde eres? Que hazes por acá? Ay mucho tiempo que bives en esta tierra? Quien eres tu? Como es tu nombre? Sabe servir? Eres por ventura soldado desvalijado? Eres ombre de bien? De que has miedo? Vien acà, delante de mi, no temas, cuerpo de Tal, no, no me conosces?

 

Woher kommst du? Was machst du hier? Lebst du schon lange in dieser Gegend? Wer bist du? Wie ist dein Name? Weißt du zu dienen? Ist dein Geschick das eines entwaffneten Soldaten? Bist du ein guter Mensch? Wovor hast du Angst? Komm hier her, vor mich, fürchte dich nicht, Herrgottnochmal, nein, kennst du mich nicht?«[74]

 

Diese Sätze sind nicht die Früchte der Phantasie des Schriftsteller-Schauspielers. Es sind historische Kennzeichen der Figur, die sich aufspüren und nachzeichnen lassen und die in ihrer aktualisierten Form eng mit den Geschehnissen der Zeit und dem schillernden und zugleich finsteren Klima jener letzten Jahre des 16. Jahrhunderts verbunden sind: von der Plünderung Antwerpens zu den militärischen Unruhen in den Niederlanden, von der Verdüsterung der Religionskriege in Frankreich zu den Ängsten um die englische Thronfolge und der Valois in Frankreich, bis hin zu den Bürgerkriegen zwischen den Papsttreuen und den Protestanten. Das erneute Auftauchen dieser Figur, die wir als »parodistisch« definiert haben, ereignete sich in diesem Klima heftiger und nicht nur militärischer Spannungen. Dieser spanische Capitano ist die Karikatur der meuternden und elenden Soldaten, die Belando in den Straßen Antwerpens getroffen hatte.[75] Zum Schriftsteller geworden, füllte der Akteur die Dialoge zwischen den beiden gemäß dem Kanon, den die literarische Tradition dem Paar des »miles fanfarone [des prahlerischen Soldaten]« und seinem ängstlichen und hungrigen Diener zuschreibt; allerdings zögert letzterer, wenn die Situation ernst wird, nicht, die Krone Spaniens zu verraten und zu desertieren. Es handelt sich also definitiv um eine antispanische Figur, die der antikatholischen Kultur der Zeit sehr gefallen haben musste, im Besonderen den Augen und Ohren Thomas Kyds, der sie bereits vor irgendeiner Publikation auf der Bühne angetroffen haben mochte.

Geht man noch einige Jahre zurück, so stößt man auf weitere interessante Hinweise. Bspw. in der Comödie Angelica von Fabrizio De Fornaris, die 1585 von Abel L’Angelier in Paris veröffentlicht wurde. Auf den Seiten 46-48 (III/9) stellt ein Duett zwischen dem Capitano Coccodrillo und dem zweiten Zanni Mastica eine zu der gerade betrachteten ähnliche Situation dar. Die zwei begegnen sich auf der Straße. Der zweite Zanni tritt dem Capitano Coccodrillo entgegen, der von dem Autor selbst verkörpert wird. Von den mittelalterlichen Etymologen wurde die Figur des Basilisken lange Zeit mit anderen phantastischen oder realen Tieren verwechselt, darunter auch das Krokodil.[76] Eine ähnliche Verwechslung musste in der volkstümlichen Tradition überlebt haben, die De Fornaris dazu angeregt haben könnte, seinen Kunstnamen anzunehmen. Jedenfalls immer mit parodistischer Funktion.

Der Tonfall Masticas ist tatsächlich entschieden parodistisch. Der Diener verspottet den  Capitano, der von seinem ersten Bühnenauftreten an ziemlich übel zugerichtet scheint. Auch er erinnert an einen jener Deserteure, von denen die flämischen Lande voll gewesen sein mussten in einer Zeit, in der die Truppen Philipp II. ohne präzise Weisungen und angemessene Bezahlung trotz des kurzen Auftretens des fähigeren Johann von Österreich auf fremden Gebiet zu kämpfen hatten und sich durch einige moralisch verwerfliche Massaker entehrten. Interessant ist auch, dass die Kleidung des Capitano aus der Nähe betrachtet jener Kluft ähnelt, welche – zumindest in der landläufigen Ikonographie – die katholischen Pilger trugen, die in Richtung Santiago de Compostella unterwegs waren: »mezza schiavina in spalla, le scarpe de corda, un bordone in mano et un capello di feltraccio in testa [einen Halbmantel auf dem Rücken, gebundene Schuhe, einen Wanderstab in der Hand und einen Filzhut auf dem Kopf]«.

 

Der heilige Jakobus war auch unter dem Beinamen Matamoros bekannt, der seine heldenhafte Tapferkeit als Streiter für den Glauben unterstreicht. In diesem ursprünglichen Bild des Capitano ist unter Umständen eine satirische Anspielung herauszulesen, die der italienische Autor unter dem Schutz des pazifistischen Hofes von Katherina und Heinrich III. an die katholischen Extremisten und Spanienfreunde adressierte, die sich in Paris in der Bündnispartei zusammentaten. Zweifellos hat dieser politische Charakter seine Spur in dem von Vincenzo Belando aufgegriffenen Basilisken hinterlassen und er lässt sich teilweise auch in der Basiliskenfigur im Werk von Thomas Kyd nachweisen. Dabei handelt es sich um das vierte Merkmal, das zu dieser Figur gehört: die antikatholische Parodie, die in England auf große Zustimmung stieß, nicht zuletzt aufgrund der extremen religiösen Spannungen unter der Herrschaft von Elisabeth.

 

Die Tradition Shakespeares

 

Kyds Text wurde 1592 veröffentlicht. Auf das Jahr 1593 hingegen wird Shakespeares Richard III. datiert[77], dessen Protagonist und gleichnamiger Held einige der Themen zu berühren scheint, die im Zentrum unserer Untersuchung stehen. Der usurpatorische und missgebildete Richard übernimmt eine Rolle, die in den Moralities dem Vice, dem Laster eigen war, d. h. dem Clown, der den Teufel verkörperte und der in der Lage war, das Publikum mit komischen Aktionen und Scherzen zu unterhalten, gewissermaßen mit Intermezzi in einem oftmals  moralistischen und pädagogischen Handlungsverlauf. Diese Personifizierung des Lasters war ein dem Capitano der Commedia dell’Arte nicht unähnlicher villain, ein Schurke, dessen bösartige Erscheinung von der komischen Handlung überlagert wurde. Er ist ein Krieger, aber auch ein Clown, vielmehr ein >Capitano-Clown<, der einem trickster ähnlich ist. Und ein solcher ist, zumindest teilweise, auch Richard III. Erstaunlich ist die Anziehungskraft der Figur, ungezwungen seine Fähigkeit, vom tragischen Register in das dramatische und das parodistische überzugehen. Seine Fertigkeit liegt in der Verstellung und Dialektik, er spielt und spricht mit der Eleganz eines Lovers, aber auch mit der Grausamkeit des Tyrannen oder der Distanz eines >entfremdeten< Akteurs. Kraft seiner schauspielerischen Fähigkeiten beherrscht und verführt er die anderen, unterwirft  sie. Er besitzt alle einschlägigen Merkmale des Capitano der ihm näher stehenden schauspielerischen Tradition, nur, dass er sie zusätzlich parodistisch wendet. Als eine Parodie der Parodie, unglaubwürdig und buffonesk, besiegt er tatsächlich die echten Capitani und die >ernsten< Figuren der Geschichte. Nicht zu vergessen, dass er ein katholischer Thronräuber ist, der auf die Bühne eines anglikanischen Theaters gestellt wird: Und dies ist ein weiterer Grund, weshalb Shakespeare ihn mit ähnlichen Zügen ausgestattet hat wie die spanischen Prahlhänse der Commedia dell’Arte.

Einige seiner äußeren Wesenszüge rücken ihn in die Nähe des Basilisken von Kyd (auf den Londoner Bühnen erscheinen die zwei Figuren in relativer zeitlicher Nähe). Nur dass im Übergang vom Textuniversum des einen in das des anderen, die Bezüge zur semantischen Sphäre seiner Zugehörigkeit zunehmen, in dem Moment, da der Name des Fabeltiers aus dem Bühnenstück verschwindet. Mindestens drei lassen sich beobachten. Zuerst ist seine wollüstige und frauenfeindliche Natur zu nennen.[78] Dieser Charakterisierung folgen schließlich Bedeutungen, die mit dem Tierreich in Verbindung stehen.[79] Und drittens wird der Verweis auf den Teufels-Mythos in den eindringlichen Definitionen seiner Opfer (Mutter, Ehefrauen, Liebhaberinnen) deutlich, die seine unterweltlichen Merkmale beschreiben.[80] Nichtsdestotrotz scheint Richard III. das mythische Modell sogar zu überschreiten, indem er nicht nur als Todbringer, sondern auch als Lebensspender in Erscheinung tritt. Eine grenzenlos diabolische Kraft.[81]

Richard III. ist ein wollüstiges Tier, das seine Opfer hasst (und aus diesem Grund verführt), wobei er zunächst histrionischen Narzissmus und dann Gewalt ausübt, wie das mythologische Tier, in dessen Anlehnung – als Monster oder als Teufel – der Autor ihn gestaltet hat: »Thou cacodemon«, »slave of nature and the son of hell« bezeichnet ihn Queen Margareth (I/3). Außerdem stellt er sich selbst, wie ein hochmütiger Capitano der Commedia dell’Arte, in der ersten Szene (oder vielmehr auf dem Proszenium) als Krieger und als Liebhaber vor, zynisch dazu aufgelegt, Erotik mit Heroik zu vertauschen:

And therefore, since I cannot prove a lover / To entertain these fair well-spoken days, / I am determined to prove a villain / And hate the idle pleasure of these days. (I/1)

Gleichwohl scheint dieses Oszillieren weniger ein Bühnenspiel zu sein, als die Bipolarität ein und derselben ungeheuerlichen Strategie. Dies wird vor allem deutlich, wenn man sie mit jenen zeitgenössischen Figurationen vergleicht, die das Thema von Heldentum und Erotik ebenso aufgreifen, z. B. im italienischen Kulturraum, wo das Parodistische vollkommen und ohne Vorbehalte eingebunden ist. In diesem Zusammenhang sei auf die Theaterfigur des spanischen Capitano hingewiesen, der nicht nur auf den italienischen Bühnen von Silvio Fiorillo vorgestellt wurde. Erste Nachweise liegen für das Jahr 1599 vor[82], doch war diese Figur derart erfolgreich, dass sie Tiberio, dem bereits erwähnten Scaramouche, nicht nur biologisch zur Geburt verhalf. Was jedoch Silvio anbelangt, so ist sein Bühnenname hervorzuheben: Matamaros bezieht sich auf den Hl. Jakobus von Compostela, den legitimen Träger dieses Namens, der hier äquivalent zu dem auch in der Entwicklung der Figur des Basilisken wirkenden Geist, offensichtlich ins Komische verkehrt ist. Als Silvio Fiorillo einen seiner Briefe unterzeichnet, nennt er sich »comico, diabolico, bisarro mosche el diablo«, mit anderen Worten »komischer, diabolischer, bizarrer Teufelsjäger< (nach dem spanischen mosquear: »die Fliegen fangen«), wobei deutlich seine Absicht zutage tritt, die Attribute des heiligen Maurentöters parodistisch zu verkehren, hier nurmehr überheblich und unfähig, den hochtrabenden Worten entsprechende Taten folgen zu lassen.[83]

Eine weitere zuverlässige Variante des Capitano-Modells, das aus der Commedia dell’Arte abgeleitet ist, kann in Shakespeares Protagonist Othello ausgemacht werden.[84] Dieser ist ein Verliebter, der verhöhnt wird, aber er ist auch ein Capitano mit sämtlichen Eigenschaften seiner Art: Er liebt eine einzige Frau (Desdemona), dennoch wird er von seinen Feinden der Unzucht beschuldigt; er ist von sensationellen Abenteuern in fernen Ländern zurückgekehrt (seine gekonnte Erzählung verführt er Desdemona), wovon er mit faszinierender, beinahe magischer Rhetorik berichtet; er strebt nach unermesslichem Ruhm. Er ist eine Variante jenes Capitano, den wir schon kennen­gelernt haben. Zu Beginn der Tragödie hat er viele Eigenschaften des teuflischen Basilisken. Ihm werden dunkle und infernalische Zauberkräfte (»foul charms«, »practice of cunning hell«), der Gebrauch von »drugs or minerals«, ciarlataneske Zaubereien und Zaubertränke (»spells and medicines bought of mountebanks«), und die wie seine Hautfarbe schwarze Magie (»witchcraft«) zur Last gelegt. An seiner Seite ist Jago die Parodie des Hl. Jakobus, Sant’Iago Matamoros, des Maurentöters: Parodie deshalb, weil er zwar den Mohren/Basilisken tötet, sich dabei jedoch dämonischer Mittel bedient: Der katholische Glaube ist, – nach einer Auslegung, die schon bei Kyd anzutreffen ist – , eine Verkleidung des Teufels.

Beide, den Pseudo-Basilisken Othello und den echten Basilisken Jago, verbindet der meisterliche Gebrauch der Rhetorik. Nachdem die ausgezeichneten Rednerfähigkeiten vor dem Senat Venedigs und im privaten Gemach Brabanzios vor der verführten Zuhörerin Desdemona zum Besten gegeben worden sind, wird der mächtigere Othello von dem fähigeren, verführerischeren Manipulateur der Rhetorik, von Jago, besiegt und überwunden. So hält Melchiori fest, dass »la retorica diviene davvero lo strumento essenziale nella costruzione dei personaggi [die Rhetorik in der Tat zum wesentlichen Instrument bei der Konstruktion der Figuren wird]«.[85] Daneben decken sich weitere Eigenschaften mit dem Capitano Basilisco: Sinnlichkeit, Erotik und natürlich die Zugehörigkeit zum Militär.

Allerdings führt sich hier eine nicht unwesentliche Variante ein, die uns zur Welt der Commedia dell’Arte und so auch zu politischen Ereignissen zurückführt.[86] Es konnte aufgezeigt werden, inwiefern sich der Matamaros von Silvio Fiorillo als Teufelsjäger bestimmen lässt. Matamaros war auch der nationale iberische Name, mit dem der antimuslimische Heilige schlechthin bezeichnet wurde, Santiago de Compostela. Dargestellt wurde er für gewöhnlich hoch zu Ross, in einer Haltung, in der er Scharen von christlichen Feinden überwältigt und tötet. Wenn bereits der neapolitanische Akteur die Kunst der Parodie praktizierte, indem er sich selbst Matamaros nannte, so sind die Anspielung auf dieses Modell sowie die explizite antispanische Polemik in der Figur des Jago noch präsenter. Auch er tötet, seinem Namen entsprechend, den Mohr, oder vielmehr, den konvertierten Mauren, also Othello. Er, der Teufel im christlichen Gewand, wird der wahre Sieger über den Tod , sein Schöpfer und Überbringer sein: Er ist nicht nur deshalb ein Teufel, weil er Gift in das Ohr träufeln lässt, sondern auch, weil er eine monströse Geburt vorbereitet (I/3). Er ist die Reinkarnation des Vice, des Lasters, das im Gegensatz zu dem unschuldigen, schwarzen, konvertierten Muslim als eine katholische, weiße Figur, vermutlich spanischer Herkunft vorgestellt wird.

 

Schlusspunkte der parodistischen Abstufung

 

Abschließend sei einigen Überlegungen nachgegangen, auf deren Basis Delia Gambelli[87] zu dem Schluss kommt, dass Tiberio Fiorilli in der Compagnia der Italiener zwischen 1662 und 1667 den Posten jenes Schauspielers übernahm, der auf den Part des Capitano spezialisiert war: Francesco Manzani, der am 19. Mai 1662 vor Molières Haus in der Rue Richelieu einem Verbrechen zum Opfer gefallen war. Wenn Tiberio Fiorilli zu dieser Zeit einen solchen Part übernommen hat, würde das seine Verbindung zu dem Part des Basilisken in dem Canovaccio noch besser erklären, stand dieses doch mit dem Tartuffe in Verbindung, wenn es ihm nicht gar vorausging. Diese Rolle sah eine – sicherlich komische – Akzentuierung des kriegerischen Repertoires des italienischen Schauspielers vor, wobei er sich wahrscheinlich auf das Wissen des Vaters Silvio Fiorillo Matamaros stützen konnte: gewissermaßen eine Rückbesinnung auf die traditionellen Funktionen des kriegerischen Capitano der Commedia dell’Arte. Der paramilitärische Charakter Scaramouches ist, wenngleich durch neue Bedeutungen vermindert, dem Diener Don Giovannis nicht fremd: Erinnert sei an den Kleidertausch zwischen Herr und Diener, der (außer bei Molière) sowohl bei Cicognini als auch bei Biancolelli auftaucht, aber auch an die bereits erwähnte Szene des bizarren Duells, in dem der Diener das groteske Spiegelbild seines Haudegen-Herren gibt. In jedem Fall aber spielte Scaramouche an Manzanis Stelle wie ein Erbe jener schauspielerischen Capitano-Tradition des 16. Jahrhunderts, der auch sein Vater Silvio angehörte. Er stammte aus unbekannten Gegenden, zeichnete sich, vor allem in den Liebes- und Kampfesszenen, durch ein überschwängliches Bühnenspiel aus und hatte das spanische Gewand des Vaters durch ein komplett schwarzes Theaterkleid ersetzt.

Vor diesem Hintergrund ist es von Interesse, eine weitere Analogie hervorzuheben. Die Bernagasso-Figur, der Bettler, Vagabund, Eremit und Frömmler, der in das schwarze Gewand der Trauer, der Andacht und des Wanderelends gehüllt ist, erinnert sowohl an das Gewand des Pilgers, das der Capitano Coccodrillo in der Angelica trägt, als auch an jenes des versprengten, spanischen Soldaten, dem wir in den Gli Amorosi inganni des Belando begegnet sind, doch vor allem an die bescheidene militärische Strenge und die bigotte Steifheit, die Richard III. in den battute, den Scherzen, an den Tag legt. Wie der englische Prinz ist er ein Usurpator, schieläugig, aber faszinierend. Übrigens stellt ihn die ikonographische Tradition der Drucke, aber auch die wahrscheinlich ihm gewidmeten Ölmalereien[88], alles andere als anmutig dar. Er wird mit einer Neigung zu offensichtlich falschem bzw. düsterem und unheilvollen Leid vorgestellt, und auch mit einer gewissen Deformation in den Schultern, die ein wenig an Shakespeares Richard erinnert: Costantini schreibt, »era di vista corta […] sordo dall’orecchio sinistro, e aveva una spalla più grossa dell’altra« [er war kurzsichtig, auf dem linken Ohr taub und seine eine Schulter war wesentlich größer als die andere]«.[89]

Fiorilli scheint demnach nicht nur verbindendes Element zwischen dem Repertoire der komischen Parti des italienischen Theaters in Frankreich und Molière zu sein, sondern auch Mittler einer Tradition, die den Übergang der kriegerischen Partien vom historischen Drama zur Commedia im Sinne der ersten dramaturgischen Regel des teatro dell’Arte kennzeichnet: der Parodie. Vergessen wir nicht, dass Tartuffe auch – in der Figur des Orgon – den Sonnenkönig herausfordert, der ihn dann tatsächlich in der gleichen Weise schlagen wird wie Richmond Richard. Beide sind sie Usurpatoren: ersterer der des monarchischen Gemachs, der zweite des bürgerlichen. Richard hat den König getötet und führt sich im Thronsaal wie ein Eindringling auf ebenso wie Tartuffe der Fremde ist, den die Familie Orgon mit Argwohn aufnimmt. Beide sind sie abstoßend und verführerisch zugleich, sie verfügen über eine Faszination, die dem sozialen Emporkommen und der Machtübernahme eignet, sie bedienen sich der Erotik, sind jedoch abgrundtief frauen- und menschenfeindlich. Beide sind falsche Gläubige, beide absolute Herrscher über die Wort- und Verführungskünste. Die beiden wesentlichen Szenen, in denen ihre Redegewandtheit aufblitzt, sind zwei Verführungsszenen: Richard gegenüber Lady Anne und Elisabeth; Tartuffe bei Elmire. Beide spielen Eros vor, um Macht zu erlangen.

Wenn der Basilisk von Scaramuccia und Arlecchino den Namen seines mittelalterlichen Archetyps (sogar im Zuge des Degradationsprozesses, der alle mittelalterlichen Symbole im Übergang in die Moderne ereilt) beibehält – ein Beleg für das ausgeprägt konservative Verhalten angesichts der folkloristischen Tradition, das der Commedia dell’Arte eigen ist –, so erfahren der Name und sein Bezug bei Molière eine Veränderung: Der Basilisk schlüpft in eine andere Haut – oder besser: Er maskiert sich – auch wenn er viele seiner symbolischen Eigenschaften (oder Merkmale) behält. Der mittelalterliche Mythos passt sich den neuen Lebensbedingungen an und erwacht, indem er seine Wurzeln vergisst, zu neuem Leben. In der Commedia dell’Arte hingegen, die all seine Traditionsmerkmale bewahrt, wird er im Laufe weniger Jahre verschwinden. Gleichwohl wird er Spuren seines Todeskampfes in zahlreichen Canovacci der späteren Phase dieser Bewegung und bis zur Französischen Revolution hinterlassen.[90] Es ist nicht wichtig zu wissen, wer wen nachgeahmt hat. Aber es ist wichtig zu wissen, dass derjenige, der sich selbst treu bleibt, sich nicht verändert und sich nicht erneuert, zum Untergang bestimmt ist. Die Tradition beruht auf Treulosigkeit.

 

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[1] Crinò 1961: 281f.; vgl. auch Castelli 2001: 51-53.

[2] Bzgl. eines Verzeichnisses der Drucke vgl. Castelli 2001: 155-161 (insbesondere 160-161).

[3] Vgl. Enciclopedia dello Spettacolo 1974, Stichwort Napoli, Bd. 7, Sp. 1014. Die Bedeutung der italienischen (und besonders der florentinischen) Vermittlung der spanischen Werke in Frankreich ist durch verschiedene Quellen bescheinigt. Darunter das Journal von Olivier Lefèvre D’Ormesson, das am 28. August 1644 in Paris eine Aufführung des Don Gaston de Moncada durch italienische Comödianten erwähnt (vgl. Lefèvre D’Ormesson 1860-61: Bd. 1, 211). Über das Werk wissen wir, dass es eine populäre Fassung von Cicognini gibt, die im Karneval dieses Jahres gespielt wurde (vgl. Castelli 1996: 92-94 und bzgl. der diversen Ausgaben und Manuskripte vgl. Castelli 2001: 164-184). Es wird auch eine Reihe von Aufführungen im Jahr 1641 erwähnt. Vgl. allgemein zu einem ersten Verzeichnis des spanischen Repertoires in Florenz Michelassi / Vuelta Garcìa 2004: 67-137. Es ist hervorzuheben, dass die italienische Truppe im Juni 1644 ankam. Unter den Mitgliedern befanden sich unter anderen auch Tiberio Fiorilli und Ehefrau Isabella del Campo, die dort bis Ende 1647 oder bis Anfang 1648 blieben. Laut George Mondain Monval (vgl. Monval 1897: 56, die Quelle wird jedoch nicht angegeben) habe Scaramouche in dieser Zeit – genau genommen 1647 –, die Farce Il medico volante gespielt, die später von Molière wieder aufgenommen wurde.

[4] Testaverde 1997: 417-446.

[5] Der Frage der Chronologie des Convitato in Frankreich ist Delia Gambelli nachgegangen (vgl. Gambelli 1997: Bd. 1, 289-298).

[6] Orig. Archivio di Stato di Firenze [künftig ASF], Miscellanea Medicea, f. 442, c. 306r, zit. nach Testaverde 1997: 430.

[7] Auf die Aktivität von Napoliono als Übersetzer und Adapteur von spanischen Textvorlagen hat erstmalig Benedetto Croce hingewiesen, der eine erste Ausgabe der Drammaturgia von Lione Allacci zitiert, und in den folgenden Ausgaben die betreffende Bibliographie auslässt (vgl. Croce 1926: 78). Im Januar 1657 ist eine Zahlung zugunsten von Marco Napolioni und Giovan Battista Fiorillo registriert (Orig. ASF, Camera del Granduca, Register Nr. 28b, c. 33r, zit. nach Megale 1994: 85, Anm. 77): »A Flaminio comico scudi cinquantacinque disse Sua Altezza [Auf Geheiß Seiner Hoheit 55 Scudi für Flaminio, Comico]«; »A Trappolino commediante quindici scudi disse Sua Altezza [auf Geheiß Seiner Hoheit 15 Scudi für Trappolino, Comödiant]«. Der Unterschied in der Bezahlung ist wahrscheinlich auf den hierarchischen Unterschied zwischen den beiden Parti, will heißen zwischen Don Giovanni und dem Diener Cola, zurückzuführen. Im selben Dokument ist zu lesen, dass Silvio Fiorilli, Sohn von Tiberio, 12 Scudi bekommt, um nach Frankreich zu gehen, wahrscheinlich, um dem Vater zu folgen (Orig. ASF, Camera del Granduca, Register Nr. 28b, c. 22r, Dezember 1556). Aus dem gleichen Jahr (20. März 1649) stammt die Pariser Publikation der Mazarinade, worin Scaramouche beschuldigt wird, mit Mazarin unter einer Decke zu stecken, vgl. Les terreurs de Mazarin et les secours chimériques et imaginaires qui luy viennent d’Italie, conduit par le rédoutable Capitaine et Général Scaramouche: es findet sich in Recueil de plusieurs pièces curieuses contre le Cardinal Mazarin, imprimées depuis l’enlevement du Roy, le 6 janvier 1649 iusque à la Paix qui fut publiée le 2 jours d’Avril de la mesme année, MDCXLIX, à Paris, chez la veuve Jean Remy 1649, pièce nr. 77.

[8] Vgl. Cancedda / Castelli 2001: 157f. Gendarme de Bévotte hat in Le Festin de Pierre avant Molière eine von François und Claude Parfaict unterbreitete These aufgegriffen, derzufolge der Export des Canovaccio aus Italien nach Frankreich durch Tiberio Fiorilli anlässlich der Anwesenheit der Truppe von Giuseppe Bianchi in Paris (1653) vonstatten ging, vgl. Bévotte 1988: 339, Anm. 1; und Parfaict 1967: 265. Diese Hypothese wurde allerdings schon von Gendarme de Bévotte selbst wieder verworfen. Ebenso haltlos scheint die Hypothese von Nicola Michelassi und Salomé Vuelta Garcia, die den unveröffentlichten, von Testaverde entdeckten Text in das Jahr 1673 datieren, vgl. Michelassi / Vuelta Garcìa 2004: 106-107.

[9] Zitiert nach Gambelli 1997: Bd. 1, 311f., Anm. 1: »Le Festin de Pierre des Comediens Italiens doit avoir esté joué par la trouppe de Locatelli en l’année 1658, après la Rozaure, et il y eut un succès prodigieux. Les Comediens de l’Hostel de Bourgogne engagèrent de Villiers, leur camarade, de la traduire en françois et il la donna en vers (selon Mrs Parfaits dans l’Histoire du Théâtre François, en 1659; selon les Memoires de la Nouvelle vie de Moliere en 1660). Mr Moliere la donna en proze en 1665; et Thomas Corneille ayant mis en vers la prose de Molière, cette pièce fut jouée par la troupe de Guenegaud en 1677. [Le Festin de Pierre der italienischen Comédiens dürfte von der Truppe von Locatelli im Jahr 1658 nach der Rosaura gespielt worden sein, und es hatte erstaunliche Erfolg. Die Comédiens des Hôtel de Bourgogne engagierten Claude Deschamps Villiers, ihren Freund, für die Übersetzung ins Französische und er verfasste sie in Versen (laut den Herren Parfaits in der Histoire du Théâtre François im Jahr 1659; laut den Memoires de la Nouvelle vie de Molière im Jahr 1660). Monsieur Molière verfasste den Festin 1665 in Prosa; und nachdem Thomas Corneille Molières Prosa in Verse gefasst hatte, wurde das Stück 1677 von der Truppe des Guénégaud gespielt]« (vgl. diesbzgl. Parfaict 1967: 39-51). In dieser Zeit erschienen noch zwei weitere französische Texte, die vom spanischen Modell abgeleitet waren (aber keiner von diesen enthält den erwähnten Schlussscherz der gages): Le Festin de Pierre ou le Fils criminel von Dorimond, 1658 in Lyon aufgeführt und Le Festin de Pierre ou le Fils criminel von Villiers, 1659 in Paris aufgeführt. Nach Virginia Scott und Anna Migliori könnten die gemeinsamen Unterschriften von Tiberio Fiorilli und Giacomo Torelli auf einer Urkunde vom Juni 1659, in Hinblick auf ein Darlehen, eine Wiederaufnahme des Convitato di pietra zu dieser Zeit anzeigen (vgl. Scott 1990: 70-78; Migliori 1973: 80). Innerhalb der italienischen Truppe in Paris erlebte der Canovaccio viele Variationen, auch im Anschluss an den Erfolg von Molière: Im Februar 1668 wurde Il Convitato di Pietra – Le Festin de Pierre in der Version von Dominique Biancolelli im Palais Royal gespielt.

[10] Vgl. Loret 1650-1665/1658: Bd. 2, 457-460 (Buch IX, Brief XII, Verse17-80), übertragen in Gambelli 1993: 212f. und Anm. 35. Vgl. auch Migliori 1973: 83f., 103; sowie Spaziani 1978: 29f. und nochmals Gambelli 1997: Bd. 1, 289f.

[11] Costantini 1973: 16-17. Vgl. auch Scott 1990: 76f.

[12] Dass Tiberio Fiorillo und seine Ehefrau Elisabetta del Campo im Juli abreisten, geht aus der Register-Handschrift Extraict des Receptes et des affaires de la Comédie depuis Pasques de l’année 1659 […] hervor, die von Charles Varlet (La Grange) erstellt und 1972 in den Editionen von Minkoff aus Genf in Faksimile reproduziert wurde (vgl. La Grange 1972: 7). Demgegenüber gibt es in den relevanten, von Sara Mamone publizierten Dokumenten keinerlei zuverlässige Hinweise darüber, dass sich die beiden Schauspieler in Italien aufhielten, vgl. Mamone 2003: 320-322 (Briefe vom 16. August und 22. September 1659). In Frankreich kursieren im gleichen Zeitraum Meldungen über den angeblichen Tod von Scaramouche, die aber bald widerrufen werden (vgl. Gambelli 1997: Bd. 1, 416ff.). Die Anwesenheit des Akteurs ist in Rom im Karneval von 1660 bezeugt (vgl. Mamone 2003: 328f.).

[13] Der uns überlieferte Molière-Text ist eine Transkription aus dem Jahr 1682, die von La Grange und Vivot vorgenommen wurde, ob sie der Intention Molières entspricht, kann angezweifelt werden. Wie bekannt ist, zirkulierte dieser Text bis ins 19. Jahrhundert in der von Thomas Corneille hergestellten Dichtungs-Version. Die modernen Rekonstruktionen des vermuteten Molière-Textes lassen Zweifel über den tatsächlichen letzten Willen des Autors entstehen. Für unsere Zitation bedienen wir uns des Textes in: Molière 1997.

[14] Brief zitiert in Schindler 2008: 176, Anm. 81. Erstmals erwähnt wurde das Dokument von Herbert Seifert (vgl. Seifert 1985: 175f.). Diese Quelle bestätigt die Vermutung von Giovanni Macchia, der davon ausgeht, dass der Canovaccio von Biancolelli dem Dom Juan von Molière vorausgeht (vgl. Macchia 1978: 155, Anm. 1; und Gambelli 1993: 317-319). Angeführt wird der Wiener Aufenthalt, wenngleich ohne Angabe des Repertoires, schon in den Annales du théâtre italien von D’Origny (vgl. D’Origny 1788: Bd.1, 12). Ich danke Sergio Monaldini für einige genauere Angaben zu diesem Thema.

[15] Costantini 1973: 55f.

[16] Auskunft über eine andere Pariser Aufführung des Convitato di pietra, die am 21. Januar 1664 stattgefunden haben soll, geben die Pariser Tagebücher des Diplomaten Freiherr Ch. Caspar von Blumenthal (vgl. Mangold 1882: 235ff.).

[17] Angesichts dessen, dass der erste Teil des Canovaccio fast ausschließlich die Beschreibung der Aktionen und Lazzi Arlecchinos in der vorgesehenen Abfolge der Aktionen enthält, weist dieser streng genommen eher die Züge eines Handlungsskeletts auf; doch im zweiten Teil wird zusätzliches Material angeführt, wodurch das Repertoire variantenreicher wird, was sich auch auf den ersten Teil auswirkt.

[18] Vgl. Domenico Biancolelli, Il convitato di pietra, in: Gambelli 1997: Bd. 1, 302.

[19] Giacinto Andrea Cicognini, Il convitato di pietra, in Macchia 1978: 184. Vgl. auch die in der 11. Szene des I. Aktes angeführte Bemerkung »L’andarà in lista anca liè [Auch sie wird auf der Liste landen]« (Macchia 1978: 181).

[20] Diese Ausgabe (Il convitato di pietra opera esemplare del Sig. Giacinto Andrea Cicognini […], In Venetia, [Francesco Lupardi?], o. J. [aber vor 1666]) ist von Silvia Castelli in ein umfangreiches Verzeichnis der Werke Cicogninis aufgenommen und mit Kommentaren versehen worden, in Cancedda / Castelli 2001: 155-161; auf den Seiten 25-75 rekonstruiert Castelli die Dramaturgie des florentinischen Autors (vgl. Castelli 2001: 25-75).

[21] Vgl. Giacinto Andrea Cicognini, Il convitato di pietra, in: Macchia 1978: 176; Domenico Biancolelli, Il convitato di pietra, in: Gambelli 1997: Bd. 1, 300.

[22] Vgl. entsprechend Domenico Biancolelli, Il convitato di pietra, in: Gambelli 1997: Bd. 1, 303-305; Giacinto Andrea Cicognini, Il convitato di pietra, in: Macchia 1978: 193f.

[23] Vgl. Domenico Biancolelli, Il convitato di pietra, in: Gambelli 1997: Bd. 1, 303f und Giacinto Andrea Cicognini, Il convitato di pietra, in: Macchia 1978: 194ff.

[24] Vgl. Domenico Biancolelli, Il convitato di pietra, in: Gambelli 1997: Bd. 1, 308f.

[25] Vgl. Gambelli 1997: Bd. 1, 308; Giacinto Andrea Cicognini, Il convitato di pietra, in: Macchia 1978: 204.

[26] Vgl. Gambelli 1997: Bd. 1, 308; Giacinto Andrea Cicognini, Il convitato di pietra, in: Macchia 1978: 204.

[27] Vgl. den Kommentar von Gambelli in: Molière 1997: 198, Anm. 32.

[28] Domenico Biancolelli, Il convitato di pietra, in: Gambelli 1997: Bd. 1, 302.

[29] Gendarme de Bévotte hat hervorgehoben, dass unmöglich genau bestimmt werden kann, ob Molière oder Biancolelli der frühere Autor dieses Scherzes ist, der sehr ähnlich in beiden Texten auftaucht (vgl. Bévotte 1906b: 158).

[30] Vgl. jeweils Giacinto Andrea Cicognini, Il convitato di pietra, in: Macchia 1978: 198f; Domenico Biancolelli, Il convitato di pietra, in Gambelli 1997: Bd. 1, 304; Molière 1997: 140-143.

 

[31] Hinsichtlich einer genauen Rekonstruktion der Chronologie der verschiedenen Phasen der Textbearbeitung vgl. die Notice von Georges Couton für die Edition der Oeuvres complètes von Molière (Molière 1971: Bd.1, 833ff.).

[32] Vgl. La Grange, Registre, zit. nach Mongrédien 1973: Bd.1, 214: »On y a représenté […] trois actes du Tartuffe qui étaient les trois premiers. [Es wurden (…) drei Akte des Tartuffe gespielt, welche die drei ersten waren]«. Vgl. auch Grimarest 1705: 216.

[33] Diesen Hinweis lieferte Molière nach Jahren selbst, jedoch mit einem gewissen Maß an Ungenauigkeit und Voreingenommenheit, vgl. Préface a Tartuffe ou l’Imposteur: »on représenta devant la Cour une pièce intituée Scaramouche ermite; et le roi en sortant, dit au grand prince [Condé] que je ceux dire: ˃Je voudrais bien savoir pourquoi les gens qui se scandalisent si fort de la comédie de Molière ne disent mot de celle de Scaramouche˂; a quoi le prince répondit: ˃La raison de cela, c’est que la comédie de Scaramouche joue le ciel et la religion, dont ces messieurs-là ne se soucient point; mais celle de Molière les joue eux-memes; c’est ce qu’ils ne peuvent souffrir˂. [man spielt vorm Hofe ein Stück mit dem Titel Scaramouche ermite; und der König äußerte beim Hinausgehen dem Großfürsten (Condé) gegenüber folgendes: ˃Ich möchte gerne wissen, warum sich die Leute so sehr über die Comödie von Molière erregen und kein Wort über die von Scaramouche verlieren˂; worauf der Fürst antwortete: ˃Der Grund ist, dass die Comödie von Scaramouche sich spielerisch um den Himmel und die Religion dreht, was diese Herren nicht im Geringsten berührt; aber die von Molière führt ihnen spielerisch sie selbst vor; das ist es, was sie nicht ertragen können.˂]« (Molière 1971: Bd.1, 888).

[34] Voltaire 1992: 60, Hervorh. im Original. Eine Wiederholung dieses Scherzes findet sich im Tartuffe von Molière 1971: Bd. I, III/7, Vers 1166: »Tartuffe Hé bien! Il faudra donc que je me mortifie [Tartuffe Nun gut! Ich werde mich kasteien müssen]«. In eben dieser Edition behauptet der Herausgeber Couton (S. 1348) angesichts eines Scherzes von Dorine, die auf » cette large barbe au milieu du visage [den beachtlichen Bart im Gesicht]« von Orgon anspielt (II/2, Vers 473), Molière habe »repris à Scaramouche une grande moustache encadrant la bouche. C’est celle de Sganarelle et ici d’Orgon [von Scaramouche den großen, Mund säumenden Bart übernommen. Das ist der von Sganarelle und jetzt von Orgon]«. In der polemischen Komödie Zélinde (1663) von Donneau de Visé beschuldigt die Protagonistin Molière, er habe von Scaramouche »ses démarches, sa barbe, et ses grimaces [seinen Gang, seinen Bart und seine Grimassen]« ergaunert (Molière 1971: Bd. 1, 1040).

[35] Gambelli hat einige Zweifel bezüglich der Vorgängigkeit des Molière-Textes geäußert, die Hypothese dann aber fallengelassen, die in praxi nicht in ausreichender Weise belegt werden kann (vgl. Gambelli 1997: Bd. 1, 26f.).

[36] Vgl. Ferrone 2003: 51-67.

[37] Der Bericht ist von Robinet und zu lesen in Rothschild 1882: Bd. 2, Verse 219-294 (9. Jan. 1667).

[38] Dieser Bericht stammt ebenfalls von Robinet. Vgl. Rothschild 1882: Bd. 2, Verse 225-227 (22. Okt. 1667), Übers. Sebastian Hauck.

[39] Rothschild 1882: Bd. 2, Verse 218-224 (16. Aug. 1665):

[40] Rothschild 1882: Bd. 2, Verse 214-223 (16. Aug. 1665).

[41] Gambelli 1997: Bd. 1, 19-24 et passim.

[42] Bourqui 1999: 261.          

[43] Rey / Lacouture 2007: 82.

[44] Rey / Lacouture 2007: 83f. Rey weist darauf hin, dass La Grange in einer zweiten Phase wahrscheinlich zur Zeit der Edition von 1669 einschritt und die 1664 redigierten Anmerkungen korrigierte, um die These zu bekräftigen, dass die ersten drei Akte nichts als der Entwurf eines Werks seien, das in einem würdigeren Stil vollendet werden sollte.

[45] Rey / Lacouture 2007: 92. Auch das Ende wird anders, oder vielmehr farcenhaft gewesen sein, wie Rey weiter ausführt und in Zusammenhang mit dem einfachen Charakter des Stücks eine Schrift von Boileau heranzieht. (90f.)

[46] Rey / Lacouture 2007: 43f.

[47] In den feindseligen Observations sur une comédie de Molière intitulée le Festin de Pierre, die dem Sieur de Rochemont (Barbier d'Aucour) zugeschrieben werden, heißt es: »Molière a très mauvaise raison de dire qu’il n’a fait que traduire cette pièce de l’italien et la mettre en français; car je lui pourrais repartir que ce n’est point là notre costume ni celle de l’Eglise. L’Italie a des vice et des libertés que la France ignore [Molière ist schlecht beraten, wenn er anführt, dass er nichts anderes getan hat als dieses Stück aus dem Italienischen ins Französische zu übersetzen; denn ich könnte ihm entgegnen, dass dies weder unsere Sitten noch die der Kirche sind. Italien hat Laster und Freiheiten, die Frankreich nicht kennt]«, in Molière 1971: Bd. 2, 1203.

[48] Paul de la Croix: La Guerre comique ou la défense de l’Ecole des femmes (1664). Zit. nach Molière 1971: Bd. 1, 1141.

[49] Zit. nach Mongrédien 1973: Bd. 1, 117f.

[50] Mongrédien 1973: Bd. 1, 174.

[51] Mongrédien 1973: Bd. 1, 324 und Bd. 2, 460. Diese Angabe findet sich nur in der zweiten Edition (vgl. Jaulnay 1671) des Gedichts L’enfer burlesque, tiré des visions de don Francisco de Quevedo von J. Charles de Jaulnay (Erstausgabe Jaulnay 1668): Die Verszeilen, die den italienischen Akteur hinzuziehen, wurden 1671 ergänzt und verschwanden in der dritten Ausgabe (Jaulnay 1677) wieder. Letzte trug den Titel L’enfer burlesque und wurde gemeinsam mit zwei weiteren kleinen »höllischen« Werken veröffentlicht Le mariage de Belfagor und Les Epitaphes de M. de Molière. Diese Ausgabe wurde 1868 von Paul Lacroix neu aufgelegt und mit einem, allerdings fehlerbehafteten, bibliografischen Vorwort versehen (vgl. Jaulnay 1868 /1969).

[52] Vgl. Le Boulanger de Chalussay, Elomire hypocondre ou les medecins vangés, in Molière 1971: Bd. 2, 1230-86.

[53] Vgl. Mongrédien 1973: Bd. 1, 262.

[54] Vgl. Mongrédien 1973: Bd. 1, 665.

[55] Vgl. Mongrédien 1973: Bd. 2, 691.

[56] Vgl. Cotolendi 1695: 6f.

[57] Vgl. Rey / Lacouture 2007: 61-63.

[58] Rey / Lacouture 2007: 62.

[59] Rey / Lacouture 2007: 62.

[60] Die Migrationen innerhalb derjenigen sozialen Schichten, die in die christlichen Glaubenskriege eingebunden waren (extern mit den Muselmännern in der Seeschlacht von Lepanto oder intern mit den Protestanten in Antwerpen), hatten Europa seinerzeit mit versprengten Soldaten übersät, denen außer in den zeitgenössischen Chroniken auch in der großen und kleinen Literatur eine bedeutende Stellung zukam. Unter den berühmtesten ist an die Veteranen von Lepanto zu denken wie Don Quijote von Cervantes oder an den Capitan Spavento aus dem Höllental, den der Akteur Francesco Andreini ins Leben rief; unter den weniger bekannten sei hier an die Tre capitani vanagloriosi erinnert, die Silvio Fiorillo, der Vater von Giovan Battista und Tiberio, zu Protagonisten einer seiner Commedie machte.

[61] Colombi 1991: 15f.

[62] Bzgl. der von mir benutzten Edition vgl. Murray 1991. Die erste Ausgabe ist im Quartformat ohne Jahresangabe erschienen, wurde aber vom Herausgeber des Engländers auf das Jahr 1592 datiert (vgl. Murray 1991: VII-VIII). Das Entstehungs­datum schwankt zwischen 1578 und 1592.

[63] Vgl. Ferrone 1985: Bd. 1, 197-294 (die Frage der Datierung wird auf Seite 206 diskutiert) und Bd. 2, 107-231.

[64] Hinzuweisen ist auf das Aufgreifen und die Erweiterung dieser »Genealogie« des Basilisken in Cotticelli / Schindler 2001: 13-342.

[65] Vgl. Wittkower 1987; Zorzi 1990: 63-69. Vgl. bezüglich des von uns behandelten Themas auch die Analyse der Figur des Guglielmino in Avalle 1989.

[66] Was die symbolischen Metamorphosen unseres Tieres anbelangt vgl. die Bibliographie in White 1960: 168-170 und in Nigg 1999.

[67] Russell 1987: 197f.

[68] Vgl. diesbezüglich die historiographische Synthese in Gambelli 1993: 83-125; aber auch die diabolischen Merkmale, die dem Arlecchino aus Mantua, Tristano Martinelli zugeschrieben wurden, aufgezeigt in Ferrone 2006: 72-88.

[69] Vgl. Ferrone 2006: Abb. 11.

[70] Vgl. Murray 1991.

[71] Vincenzo Belando, Gli amorosi inganni, in: Ferrone (1985): Bd. 1, 230, Übers. Anke Charton.

[72] Vincenzo Belando, Gli amorosi inganni, in: Ferrone (1985): Bd. 1, Übers. Anke Charton.

[73] Vincenzo Belando, Gli amorosi inganni, in: Ferrone (1985): Bd. 1, Übers. Anke Charton.

[74] Vincenzo Belando, Gli amorosi inganni, in: Ferrone (1985): Bd. 1, Übers. Anke Charton.

[75] Vgl. Ferrone 2006: 7-50.

[76] Vgl. White 1960: 168f.

[77] Bzgl. der zeitlichen Einordnung des Werks und der Übersetzung vgl. Melchiori 1994: 80-94.

[78] »But I, that am not shaped for sportive tricks / Nor made to court an amorous looking-glass […], / I, that am rudely stamped, and want love's majesty / To strut before a wanton ambling nymph […].« (I/1).

[79] So bspw. wenn der Chor der »Menaden-Königinnen« den bösen Usurpator wiederholt in die Nähe einer Kröte rückt: Für Queen Margaret ist Richard III. »this poisonous bunch-backed toad« (I/3); für Queen Elizabeth ist er »that foul bunch-backed toad« (IV/3); die Duchess of York ordnet ihn ähnlich ein: »Thou toad, thou toad« (IV/3).

[80] »Duchess of York: O ill-dispersing wind of misery! / O my accursed womb, the bed of death! / A cockatrice hast thou hatched to the world / Whose unavoided eye is murderous« (IV/1). So auch Anne: »Black magician«, »dreadful minister of hell!«, »Foul devil (…) / For thou hast made the happy earth thy hell / Filled it with cursing cries and deep exclaims«, »foul deformity«, »devil«, »devilish slave«, »hedgehog«; »fouler toad« (I/2); »bottled spider«, »poisonous bunch-backed toad« (I/3). So auch Marguerite: »yonder dog« (I/3), »That dog, that had his teeth before his eyes«, »Hell’s black intelligencer« (IV/4). Insbesondere in der erinnerungswürdigen Verführungsszene von Lady Anne jedoch konzentrieren sich jene Bedeutungen, die die Figur mit dem mythischen Basilisken in Verbindung bringen (die von den Augen hervorgerufene Verführung, die todbringende Spucke etc.), was jedoch hier noch einmal in parodistischer Verkehrung geschieht:

[81] »Elisabeth: But thou didst kill my children / Richard: But in your daughter’s womb I bury them / Where, in that nest of spicery, they will breed / Selves of themselves, to your recomforture.« (IV.4)

[82] Vgl. Fiorillo 1993: Bd. 1, 307-345. Bezüglich seiner Paris-Tournee anlässlich der Hochzeit des konvertierten Heinrich IV. und Maria de’ Medici vgl. das Bild, das in den Compositions de Rhetorique abgedruckt ist, hg. von Tristano Martinelli im Jahr 1600 und abgedruckt in Ferrone 2006: Abb. 25.

[83] In seiner Maschera überwiegt die negative, mit Zügen Don Giovannis ausgestattete sowie überhebliche Figur des Spaniers mit überwiegend komischen Erfolgen. Und darin liegt ein bedeutender Unterschied im Vergleich zu England, wo die negative Figur allgemeiner in dem katholischen Umfeld angesiedelt wird, wenn nicht gar mit Tendenz zur italienischen oder germanischen Flexion. In jedem Fall ist die shakespearesche Variante im Vergleich zu den italienischen Modellen die >ernstere< der antikatholischen Satire.

[84] Bzgl. der Datierung (zwischen 1603 und 1606) und einer allgemeinen Einordnung vgl. Melchiori 1994: 472-484.

[85] Melchiori 1994: 473.

[86] Zur Beziehung zwischen politischen Ereignissen und Commedia dell’Arte vgl. Ferrone 2003: 51-67.

[87] Vgl. Gambelli 1993: 218-223.

[88] Vgl. Guardenti 1990: Bd. 2, 153-158 und Aliverti 1998: 127-132.

[89] Costantini 1973: 70.

[90] Vgl. dazu Cotticelli / Schindler 2001: 13-342.


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